Nachrufe

In Memoriam Anne Begenat-Neuschäfer

(19.07.1953 – 03.03.2017)

Anne Begenat-Neuschäfer ist tot. Ein Mensch mit Ideen, ein Mensch voller Aktivitäten, eine Forscherin mit weitem Horizont, die sich in fünf Sprachen und drei Kontinenten forschend bewegte und bewegend Einfluss nahm auf die Gestaltung von Lehre und Forschung an Universitäten. In akademischen, politischen und kulturellen Gesellschaften zeigte sie Präsenz und publizistisch trat sie mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen hervor. Anne Begenat-Neuschäfer war ein aufrechter Mensch, zuverlässig und bescheiden, wusste sich allerdings zur Wehr zu setzen, wenn sie angegriffen wurde. Eine Reihe von Enttäuschungen machten aus ihr keinen enttäuschten Menschen. Ihr Optimismus suchte stets nach Auswegen, die sie mit Charme und Geduld beschritt.

Anne Begenat-Neuschäfer studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Paris, danach Germanistik und Romanistik in Marburg, schloss alle Examina mit besten Noten ab und wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Universität Marburg und Verlagslektorin, ging dann im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Nancy und Paris und schließlich in die Zentrale des DAAD nach Bonn. Nach einer Promotion und einer Habilitation in Marburg und einer Thèse en sciences de théâtre in Paris begann ihre Karriere in der Universität mit Rufen nach Wuppertal, Osnabrück und Aachen.

Die Forschungsschwerpunkte waren zunächst die Renaissanceliteratur in Frankreich und Italien, sodann das moderne Theater in Frankreich und die französischsprachige Literatur Belgiens. In den letzten Jahren öffnete sie sich den frankophonen Literaturen Afrikas, den iberischen Literaturen, insbesondere der portugiesischsprachigen Literatur in Afrika und Brasilien. Ihr Wirken blieb im Ausland nicht unbemerkt. Diverse Preise und Auszeichnungen wurden ihr zuteil: der Übersetzerpreis der Französischen Gemeinschaft Belgiens, der „Prix du rayonnement des lettres belges de langue française“. Sie wurde zum „Chevalier des Palmes Académiques“ in Frankreich ernannt und zum „Officier de l’Ordre de la Couronne de Belgique“.

Anne Begenat-Neuschäfer dachte in gesellschaftlich relevanten Kategorien: Die Forschung gehört in die Öffentlichkeit. Sie sorgte deshalb auf einer Vielzahl von Tagungen und Kongressen für die Verbreitung individueller Forschungsergebnisse durch Multiplikatoren: Cérisy (2001; 2009; 2015); Aachen (Franko-Romanistentag 2002; Apela-Kongress, Association pour l’Ètude des Littératures Africaines 2011; Lusitanistentag 2015 und internationaler Kongress für die Literaturen des Maghreb und der Subsahara 2016). Kolloquien in Atlanta, Wien und Köln und Winterschulen in Aachen wurden von ihr betrieben und besucht. Stets forderte sie ihre Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme auf. Sie selbst besuchte zu Vorträgen und Gastprofessuren Italien, Belgien, Spanien, Frankreich und schließlich die Elfenbeinküste, Marokko und Brasilien.

„Exegi monumentum aere perennius“ könnte Anne Begenat-Neuschäfer mit Blick auf die Vielzahl ihrer Publikationen sagen. Die Autoren, über die sie spricht – Lodovico Dolce und das Renaissancetheater in Venedig, das Théâtre du Soleil in Paris, Henri Bauchau in Belgien, Le Clézio, Marie NDiayes oder Paulina Chiziane und Maria Celestina Fernandes in Afrika – umspannen Länder, Kontinente und Epochen. Als Herausgeberin von Reihen („Aachener Beiträge zur Romania“, „Abhandlungen zur Sprache und Literatur“, „Belgien im Fokus“ und „Neue und Alte Welt im portugiesischsprachigen Kontext“) verlieh sie ihren Schülerinnen und Schülern sowie Kolleginnen und Kollegen Gehör, und nicht unerwähnt bleiben soll ihr Einsatz für den (vorläufig gescheiterten) Erhalt der Romanistik in Aachen. Bis in die letzten Tage bemühte sie sich um die Einrichtung einer internationalen Institution im Deutsch-Belgischen Bereich, wo der Bedeutung Aachens, seiner Hochschule und der Hochschulen der Euregio Rechnung getragen wird. In dieser Institution sollen die Sprachen, Literaturen und Kulturen der europäischen Union vom Niederländisch/Flämischen über das Französische bis hin zum Portugiesischen eine Forschungsstätte finden, die deren Ausstrahlung in vier Kontinenten erforschen kann.

Wir gedenken eines großartigen Menschen. Sie wollte die Zukunft bereiten und die Vergangenheit schützen. Dazu diente ihr Bemühen um Nachlässe französischsprachiger und deutscher Autoren und deren Archivierung in französischen Archiven. Ausdruck dieser Tätigkeit ist ihre Mitarbeit im Institut des textes et manuscrits (ITEM-CNRS) in Paris und im Institut Mémoire de l’édition contemporaine (IMEC) in Caen.

Wir verneigen uns vor Anne Begenat-Neuschäfer. Ihrem Wunsch entsprechend findet sie ihre letzte Ruhestätte in Frankreich. Über den Tod hinaus ist sie uns Leitbild: Requiescat in pace!

Helmut Siepmann

 

Nachruf auf Prof. Dr. Dieter Woll (1933-2012)

Am 15. September 2012 ist Dieter Woll, bis 1998 Professor für Romanische Philologie an der Philipps-Universität Marburg und einer der Wegbereiter der deutschen Lusitanistik, im Alter von 79 Jahren gestorben.

Dieter Woll gelangte über Umwege zur Lusitanistik. Geboren und aufgewachsen in Aachen, später dann in Boppard am Rhein, das nach dem Zweiten Weltkrieg zur französischen Besatzungszone gehörte, entwickelte er zunächst Interesse an der französischen Sprache und entschied sich daher nach der Reifeprüfung 1952 für ein Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie in Bonn. Einem Sprachkursstipendium in Coimbra, das ihm sein verehrter Lehrer Harri Maier anbot, ist es zu verdanken, dass Dieter Woll 1955 seine Liebe zur portugiesischen Sprache und Kultur entdeckte, die ihn fortan nie mehr loslassen sollte. Er absolvierte zunächst ein Studienjahr in Coimbra und war dort anschließend zwei weitere Jahre als Lektor für Deutsche Sprache tätig. In dieser Zeit entstand seine Dissertation über die Lyrik des portugiesischen Schriftstellers Mário de Sá-Carneiro, mit der er 1958 bei Harri Meier in Bonn promoviert wurde. Nach seiner Rückkehr nach Bonn wurde Dieter Woll 1959 zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Harri Meier bei der Arbeitsstelle des Romanischen Etymo­logischen Wörterbuchs, zwei Jahre später Wissenschaftlicher Assistent an der Bonner Uni­versität. In dieser Zeit entstand seine Arbeit zum erzählerischen Werk des brasilianischen Autors Machado de Assis, mit der er 1970 an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn für das Fach Romanische Philologie habilitiert und im März 1971 zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde. Die Chancen, als Lusitanist in Deutschland einen Ruf zu erhalten, waren damals denkbar schlecht. Im Oktober 1977 wurde Dieter Woll jedoch an die Universität Heidelberg als Wissenschaftlicher Rat und Professor für Übersetzungswissenschaft (mit besonderer Berück­sichtigung des Portugiesisch-Brasilianischen) berufen, die bis 1997 einzige Professur in Deutsch­land speziell für Portugiesisch. Zugleich wurde er Leiter der portugiesischen und der spanischen Abteilung des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen, dessen Gesamtleitung er 1979 übernahm.

Im Wintersemester 1982 folgte Dieter Woll schließlich dem Ruf an die Marburger Philipps-Universität als Professor für Romanische Philologie. Fortan widmete er sich wieder stärker dem Französischen und Spanischen, insbesondere der literarischen Übersetzung, Etymologie und Wortgeschichte, später auch der Syntax und Stilistik. Die portugiesische Sprach- und Literatur­wissenschaft hatte jedoch auch in Marburg einen hohen Stellenwert innerhalb seiner Forschung und Lehre. Unter Fachkollegen brachte ihm die intensive Beschäftigung mit der Lusitanistik sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands hohe wissenschaftliche Anerkennung ein. 1998 wurde Dieter Woll pensioniert, nahm aber bis einschließlich 2002 weiterhin regelmäßig Lehraufträge im Bereich der Lusitanistik am Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität wahr. Gesundheitliche Einschränkungen führten schließlich dazu, dass er sich nach und nach aus der Lehre zurückziehen musste.

Mit seinem Tod hinterlässt Dieter Woll eine Lücke in der deutschen Romanistik und vor allem in der Lusitanistik. Seine wissenschaftliche Kompetenz, seine Kollegialität, Zuverlässigkeit, Warmherzigkeit, seinen Humor und nicht zuletzt sein Herz für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden alle, die ihn kannten, sehr vermissen.

Christina Ossenkop, Universität Münster


Nachruf auf Erhard Engler (1938-2012)

Erhard Engler wurde am 18. Juli 1938 in Groß Nebrau im Kreis Marienwerder, Region Westpreußen, geboren. Sein Leben ist untrennbar mit dem Verlauf der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verbunden, wie auch sein Werdegang mit der Entwicklung der Lateinamerikanistik in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland.

1959 nahm er das kurz zuvor erst eingerichtete Studium der Lateinamerikanistik an der Universität Rostock auf, in dessen Zuge er 1963 Austauschstudent in Kuba war. Von 1964-1974 arbeitete bei Radio Berlin International (RBI), unter anderem als seinerzeit jüngster Redaktionsleiter. Im Anschluss daran war er als Spanischlehrer am Institut für Sprach-Intensivausbildung in Berlin-Treptow tätig. 1974 schloss er extern seine Promotion an der Universität Rostock mit einer Dissertation über Euclides da Cunha ab (Euclides da Cunha: ein geistiger Vorkämpfer für die nationale Unabhängigkeit Brasiliens). Von 1975 an wirkte Erhard Engler als Dozent am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Schwerpunkt Brasilianistik (Literaturgeschichte/Landeskunde), nach der Wiedervereinigung vertrat er auf dieser Stelle verschiedene Bereiche der Brasilianistik, Lusitanistik und Hispanistik, bis er sich im Jahr 2003 zur Ruhe setzte.

In der DDR zählte er zu den Pionieren insbesondere der Brasilianistik. Neben dem bereits erwähnten Euclides da Cunha widmete er sich vor allem Jorge Amado, zu dessen Rezeption in der DDR und später im wiedervereinten Deutschland er als Wissenschaftler, Vermittler und Übersetzer beitrug. 1965 legte er mit dem umfangreichen Aufsatz „Der Bahia-Zyklus von Jorge Amado“ (Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Jg. 14, Heft 1/2) eine der frühen wissenschaftlichen Studien zum Autor im deutschen Sprachraum vor. 1976 erstellte er die Neuübersetzung von Amados Roman Mar morto (Tote See, in der Reihe „Ausgewählte Werke in Einzelausgaben“ bei Volk und Welt in Berlin). 1992 schließlich zeichnete er mit der Monographie Jorge Amado. Der Magier aus Bahia (bei Text und Kritik in München) für die bis heute einzige umfassende Darstellung von Leben und Werk Amados in deutscher Sprache verantwortlich. Mit diesem Buch vollbrachte Erhard Engler die schwierige und zugleich so wichtige Aufgabe, literaturwissenschaftliche Erkenntnisse einem allgemein interessierten Lesepublikum zugänglich zu machen.

Im Zusammenhang mit der Vermittlung brasilianischer Literatur trat Erhard Engler u.a. auch als Übersetzer der Memórias postúmas de Brás Cubas von Machado de Assis (Postume Erinnerungen des Brás Cubas, zunächst 1967 bei Rütten & Loening in Berlin, 1979 neu aufgelegt bei Suhrkamp in Frankfurt am Main) und 1988 als Herausgeber der Anthologie 38 brasilianische Erzähler in der bedeutenden Reihe „Erkundungen“ beim Berliner Verlag Volk und Welt in Erscheinung.

Auch zur Verbreitung des brasilianischen Portugiesisch im deutschen Sprachraum leistete Erhard Engler Beiträge von grundlegender Bedeutung. Über die vermittelnde Arbeit im Zuge der Universitätslehre hinaus gilt bis heute sein Lehrbuch des brasilianischen Portugiesisch (1986 beim Verlag Enzyklopädie in Leipzig erschienen, ab 1993 in mehreren Auflagen bei Langenscheidt/Verlag Enzyklopädie) als eines der besten Lehrwerke für diese Sprachvariante.

Erhard Englers Leben und Werk sind ein Beispiel dafür, dass die Wissenschaft wie auch der sie betreibende Mensch immer im Zusammenhang mit ihrer politischen Dimension gesehen werden müssen. Im Bereich der Brasilienstudien in der DDR war Erhard Engler „eine Institution“ – so formuliert es Ute Hermanns in der Zeitschrift Tópicos (3/2009) anlässlich ihrer Erinnerungen an den Fall der Berliner Mauer und einen Spaziergang in Ost- und Westberlin im November 1989 mit Rubem Fonseca und Christina und Erhard Engler: „Zu Mauerzeiten legten Autoren aus Lateinamerika, die nach Berlin kamen, Wert drauf, ihn zu besuchen. Die meisten schmuggelten ihre Bücher über die Grenze und schenkten sie ihm.“ Diese Charakterisierung beinhaltet die Spannung, der Erhard Engler in der DDR zwischen ideologischen Vorgaben, politischen Beschränkungen (wie z.B. dem Ausreiseverbot) und wissenschaftlicher Arbeit ausgesetzt war. Die größte und schwerste Aufgabe unter diesen Bedingungen bestand in der Wahrung der persönlichen Integrität, und sie stand für Erhard Engler immer an erster Stelle. Bereits 1974 als Redakteur beim RBI hatte er sich durch wiederholte Aufforderungen zur „Zusammenarbeit“ mit dem Ministerium für Staatssicherheit dazu veranlasst gesehen, diese Tätigkeit aufzugeben.

Die frisch gewonnene Freiheit nach dem Ende des DDR-Regimes nutzte Erhard Engler 1991 für einen ersten Aufenthalt in Brasilien, den er mit einer Gastdozentur an der Universidade de São Paulo (USP) und weiteren Gastaufenthalten, Vorträgen und Gesprächen – u.a. zur kurz zuvor erfolgten deutschen Wiedervereinigung – an Universitäten in Rio de Janeiro und Porto Alegre verband.

Seine Standhaftigkeit in der Verweigerung gegenüber dem DDR-Regime kam Erhard Engler im Zuge der Umstrukturierung der Humboldt-Universität nach der deutschen Wiedervereinigung sicher zugute, allerdings musste er sich auch für die von ihm seit 1975 besetzte Dozentur erneut bewerben, um weiter auf dieser Stelle wirken zu können. Gegenüber der zu dieser Zeit in der neuen BRD mit Vehemenz einsetzenden Durchdringung der Universitätslandschaft durch die marktwirtschaftliche Logik und ihre Zwänge wahrte er – nun unter umgekehrten Vorzeichen – seine ethischen wie wissenschaftlichen Grundsätze, die er zuvor in der DDR gegen Versuche ideologischer Vereinnahmung hatte verteidigen müssen.

Erhard Englers Wirken und Verdienst als Wissenschaftler und Lehrender, Literaturvermittler und Übersetzer muss immer vor diesem historischen Hintergrund des geteilten Deutschlands, der SED-Herrschaft in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung verstanden werden. Er blieb sich dabei stets treu, lebte und verteidigte mit seinem Tun immer auch die Werte der intellektuellen Redlichkeit und des Anstands.

Erhard Engler starb am 8. Oktober 2012 in Berlin. Mit seinem Tod verlieren Lusitanistik und Brasilianistik einen bedeutenden Kollegen und einen großen Menschen.

Marcel Vejmelka (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Germersheim)


In memoriam

Curt Meyer-Clason (19. 9. 1910 – 13. 01. 2012)

Im Januar 2012 ist Curt Meyer-Clason in München verstorben. Er war nicht nur der Patriarch der Übersetzer, vor allem aus dem Portugiesischen, sondern auch einer der Pioniere, der die Brücken der lateinamerikanischen und portugiesischen Literatur in den deutschsprachigen Raum gebaut hat: dass die Literaturbegeisterten die Werke von João Guimarães Rosa, García Márquez, Juan Carlos Onetti, Carlos Drummond de Andrade, João Cabral de Melo Neto, Ferreira Gullar, Clarice Lispector, Eugênio de Andrade, Carlos de Oliveira, Fernando Namora, José Cardoso Pires und zahlreicher anderer Autorinnen und Autoren kennenlernen durften, ist ihm zu verdanken. Für seine Verdienste wurde Curt Meyer-Clason, korrespondierendes Mitglied der Academia Brasileira de Letras, mit zahlreiche Preisen bedacht und 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Ich bekenne, ich habe gelebt, hieß die Autobiographie Pablo Nerudas, die wir ebenfalls in der Übersetzung Curt Meyer-Clasons kennenlernten.
Ich bekenne, ich habe gelebt, könnte man auch auf den Epitaph dieses großen Übersetzers, Kulturvermittlers und Menschen Curt Meyer-Clason schreiben, den wir nie vergessen werden.

Der Familie von Curt Meyer-Clason spricht der Deutsche Lusitanistenverband seine tiefempfundene Anteilnahme aus.

Henry Thorau

Vorsitzender des DLV


Nachruf auf Dr. Marion Ehrhardt (23.07.1932 – 04.11.2011)

Marion Ehrhardt hat ihr ganzes Wirken der Pflege der deutsch-portugiesischen Beziehungen gewidmet. In Hamburg geboren, in Thüringen aufgewachsen und nach dem Krieg von dort wieder nach Hamburg geflohen, gehörte sie zu den frühen Enthusiasten des Bundes der europäischen Jugend, die bereits 1949 die Grenzbarrieren zwischen Deutschland und Frankreich niederrissen. Grenzüberschreitungen markierten ihr Leben. Ein erster Aufenthalt in Angola 1952 führte sie an die portugiesische Kultur und Sprache heran, ein Au-pair-Aufenthalt in Barry bei Cardiff/Wales an die englische Sprache. Es folgten das Studium am Dolmetscherinsitut in Heidelberg (1953-55), ein Studienjahr in Coimbra (1954-55) und das Promotionsstudium der Lusitanistik und Ethnographie an der Universität Hamburg. Ihre Dissertation über “Das Meer im Werke Fernando Pessoas” von 1960 dürfte eine der ersten akademischen Arbeit sein, die dem portugiesischen Dichter in Deutschland gewidmet wurde. Von 1960 bis 1965 war sie als Lektorin für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Lissabon tätig, um fortan als freiberufliche Forscherin von ihrem Haus in Galamares/Sintra aus den vielfältigen Verzweigungen der deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen nachzugehen. Ihre Bücher über D. Fernando (1985), A Alemanha e os Descobrimentos Portugueses (1989) oder Die Bartholomäus-Bruderschaft der Deutschen in Lissabon (1990) sowie zahlreiche Aufsätze gehören zu den Standardwerken der deutsch-portugiesischen Geschichte. Vielfach anregend wirkte sie aber auch als Sammlerin mit ihrer ca. 3000 Titel umfassenden Spezialbibliothek zu deutsch-portugiesischen Themen, aus der besonders wertvolle und repräsentative Werke zuletzt 1997 anlässlich der Frankfurter Buchmesse ausgestellt wurden. Marion Ehrhardt wurde mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1987) und mit dem Orden Infante D. Henrique (1991) ausgezeichnet. Sie war Ehrenmitglied des portugiesischen Germanistenverbands APEG und Mitglied im Centro de Estudos Históricos an der Universidade Nova de Lisboa und im Centro Interuniversitário de Estudos Germanísticos an der Universität Coimbra. Mit der von ihr ins Leben gerufenen Marion Ehrhardt Stiftung hat sie einen Weg gefunden, auch über ihren Tod hinaus die Erforschung der deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen zu fördern. Marion Ehrhardt wird deshalb allen in dankbarer Erinnerung bleiben. Wir vermissen ihren warmen Witz, ihre Großzügigkeit, ihr waches Interesse, ihr Beispiel an Unabhängigkeit und Gelassenheit. Und ihren beispielhaften Einsatz für die deutsch-portugiesischen Beziehungen.

Peter Hanenberg, Lissabon

Die Trauerfeier für Frau Dr. Marion Ehrhardt findet am 03.12.2011 um 12.00 Uhr in der Kapelle 8 auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf statt.


Nachruf auf Professor Dr. phil. Ulrich Fleischmann

Nach schwerer Krankheit verstarb Prof. Dr. Ulrich Fleischmann am 7. Februar 2011 in Berlin. Der renommierte Karibikforscher, Lateinamerikanist und Brasilianist wurde 1985 Professor am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.

Zu dieser Zeit hatte er sich bereits mit seinen Studien und Schriften zur karibischen Literatur und Sprache, zur Kreolisierung und zur Sklavereigeschichte einen Namen gemacht. Sie werden als Pionierarbeiten für zahlreiche Forschungsbereiche gewertet und haben die Region der Karibik als transdisziplinäres Forschungsgebiet für die heutige deutschsprachige Karibistik erschlossen.

Ausgehend von den Studien zur Neuen Romania am Fachbereich für Neuere Fremdsprachliche Philologien der Freien Universität Berlin richtete er danach seinen Blick auf Mittel- und Südamerika, wo ihn besonders Brasilien faszinierte. Seine Studien zu Darcy Ribeiro und Gilberto Freyre, Euclides da Cunha sowie zur Geschichte der Sklaverei und der indigenen Bewohner Brasiliens waren wegweisend und stets interdisziplinär, denn er bezog bei seinen Forschungen die Disziplinen Geschichte, Ethnologie und Soziologie mit ein, indem er z.T. eng mit renommierten Kollegen aus diesen Fachgebieten zusammenarbeitete.

Ulrich Fleischmann war vor allem ein Querdenker und Rebell. Er suchte stets neue Interpretationsansätze, hinterfragte und analysierte die Quellen gründlich und eigenwillig. Es war ihm wichtig, Zeit zum Nachdenken zu haben. Die nahm er sich und fand neue Interpretationen für literarische und kulturhistorische Phänomene, die die Karibistik, Lateinamerikanistik und Brasilianistik weiterentwickelten.

Er fragte, las und reiste, denn es ging ihm um den engen Kontakt zu seinen Forschungsthemen, und das machte ihn vor allem bei seinen Studenten und Kollegen beliebt, denn er lebte und vermittelte Authentizität. Er liebte das Gespräch, Musik und Feste, Reisen in die Sonne und zum Meer. Das vermittelte er auch in den Reiseführern, die er über die Dominikanische Republik und Costa Rica schrieb.

Durch diese offene Art, die aber immer eine rigorose intellektuelle Redlichkeit mit einschloss, brachte er viele junge Studenten dazu, sich vor allem möglichst viele Fragen bei der Wahl ihrer Themen für Abschlussarbeiten und Doktorarbeiten zu stellen, um einen möglichst umfassenden Blick auf das eigene Forschungsgebiet zu erwerben. Die Arbeiten sollten sich in ihr Leben schreiben nicht nur Mittel zum Zweck sein. Leidenschaft für die Wissenschaft war sein Anliegen, und er brachte die Studenten und Doktoranden dazu, selbige zu entwickeln. Er war Impulsgeber im persönlichen Gespräch, er unterstützte Projekte, förderte seine Studenten, um sie dann ihren Weg gehen zu lassen, ohne sie dabei aus den Augen zu verlieren. Auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand 2003 war er für viele ein gesuchter Ansprechpartner und blieb auch weiterhin wissenschaftlich aktiv.

Wenn er Studenten und Kollegen zu seinem Geburtstag einlud, bereitete er sich immer mehrere Tage vor, um auserlesene Speisen zu servieren. Großzügig war auch seine Gastfreundschaft: Ganze Romane wurden im Gästezimmer seiner Wohnung von namhaften Autoren wie Nurrudin Farah aus Somalia und Flávio Wolf Aguiar aus Brasilien geschrieben.

Am 20. Juni 1938 in Rothenburg o.T. geboren, studierte Ulrich Fleischmann Romanistik, Ethnologie und Soziologie in München und Paris. 1967 wurde er mit einer Dissertationsschrift über die haitianische Literatur promoviert. Seine Habilitation über Sozialgeschichte der kreolischen Sprachen fand an der Freien Universität Berlin statt. An der Universität Bayreuth nahm er 1981 und 1982 eine Vertretungsprofessur wahr und war dann ab 1982 in Berlin am Institut für Romanische Philologie der Freien Universität tätig, darüber hinaus übernahm er Gastprofessuren an der University of Ibadan, Nigeria, an der University of Warwick, an der Universidade Federal do Rio de Janeiro und an der Universidad Costa Rica un der Universidad Iberoamericana in Mexiko wahr. Er war Mitglied der ADLAF (Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerika-Forschung), des Deutschen Hochschulverbandes, er war Vorsitzender der Asociacíon de Estudios de Literatura y Sociedad de América Latina (AELSAL), Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender der Gesellschaft für Karibikforschung und des Comité International des Études Créoles.

Ulrich Fleischmann hinterlässt seine Ehefrau Verena Fleischmann und zwei Töchter, Stephanie und Jessika. Ihnen sprechen die Mitglieder des DLV ihre herzliche Anteilnahme aus.

Für den DLV
Dr. Ute Hermanns
Kulturlektorin des DAAD an der Universidade Federal do Ceará
Ehemalige Studentin und Doktorandin von Prof. Uli Fleischmann


Nachruf auf Helmut Lüdtke (1926-2010)

Die nationale und internationale Lusitanistik und Romanistik hat den Tod eines ihrer profiliertesten Altmeister zu beklagen. Helmut Hermann Wilhelm Lüdtke verstarb am 27. April in Kiel, nachdem er schon über Jahre mit seiner Krankheit zum Tode gelebt und gelitten hatte. Und doch konnte er das Leben eines Sprachwissenschaftlers und sein Lebenswerk in den Jahren der Emeritierung noch mit zwei grundlegenden Büchern abschließen, die in Universitätsbibliotheken und Instituten der Romanistik den Fachstudierenden von Nutzen sein werden.

Helmut Lüdtke kam aus dem Münsterland, wo er in Osnabrück am 26. November 1926 geboren wurde und seine Schulzeit bis zum Abitur verbrachte; er studierte an den Universitäten Köln, Bonn und Lissabon Romanistik, Anglistik und Allgemeine Sprachwissenschaft. Das wissenschaftliche Paradigma seiner Zeit war der Strukturalismus, in dessen theoretischem Rahmen er seine Promotion „Der lateinisch-romanische Vokalismus in struktureller Schau“ (U Bonn 1952) anlegte. Seine ersten Publikationen galten insbesondere dem Standard-Portugiesischen: im Boletim de Filologia (Lissabon) präsentierte er 1952 seine ersten beiden Aufsätze auf Portugiesisch über das phonematische System des Portugiesischen (zugänglich über www.cvc.instituto-camoes.pt), die für jede Einführung der portugiesischen Sprachwissenschaft und Phonematik ein grundlegender Baustein geworden sind. Die hiermit aufblühende saudade zu jenem kleinen Land am Atlantik verband mich mit ihm neben allen linguistischen Interessefeldern in unserer Kieler Zeit.

Wie andere Romanisten begann er auch als Lektor des DAAD – von 1952 bis 1956 in Venedig, um danach dann an den großen romanistischen Projekten der etymologischen Wörterbücher REW und FEW (Bonn, Münster und Basel)  mitzuarbeiten. In Basel habilitierte er sich 1963 mit der Schrift „Die Mundarten Lukaniens“, wurde dort Privatdozent für drei Semester und erhielt den ersten Ruf an die Universität Freiburg, wo er von 1965 bis 1969 Romanische Sprachwissenschaft lehrte. In dieser Zeit entstand das detailreiche Werk „Geschichte des romanischen Wortschatzes“, das für viele Studierende zum Anreiz der Erweiterung des eigenen gesamtromanischen Wortschatzes in seiner dia-chronen Dimension wurde.

Der Universitäts- und Wohnortwechsel ging dann weiter in nördlich-preussische Richtung. An die vierjährige Periode des Ordinariats in Freiburg schloss sich siebenjährig die Professur an der TU Berlin an, die ihm weit bessere Gelegenheit zu Forschungen und Vortragsreisen bot, immer innerhalb Europas (außereuropäische romanophone Länder waren ihm aufgrund der Luft- und Seereise weniger erreichbar). Seine universitäre Laufbahn endete dann im hohen Norden an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (1976-1992), wo er mehr als 16 Jahre als Sprachwissenschaftler zu allen romanischen Sprachen wirkte – der großen Sprachen wie Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch, wie aber auch der Minderheiten- oder „Kleinsprachen“, wie er sie nannte (das Maltesische, Aragonesische, Leonesisch-Asturische und Galicische). Neben  Sprachgeschichte und Sprachwandel der romanischen Sprachen – insbesondere des Mittelalters und der frühen Neuzeit – lehrte Helmut Lüdtke aber auch deren Phonologie, Lexikologie und Syntax, wobei er mir den Teil (formaler) Semantik und Pragmatik in der Lehre überließ: in der Kommunikationstheorie traf man sich dann wieder. Helmut Lüdtke war ein sympathisch-offener Kollege, der sagte was er dachte, der zielstrebig seinen sprachwissenschaftlichen Problemen nachging, kooperativ und vorurteilslos die Probleme anging und gern auf Kongressen zu seinen Themen das Wort ergriff – etwa zu den italienischen Mundarten und zur Volkssprache (vox populi). Gemeinsam veranstalteten wir ein Kolloquium im November 1990 zur Linguistica contrastiva. Deutsch versus Portugiesisch, Spanisch, Französisch (erschienen in der Kieler Reihe der Acta Romanica 9, 1997). Bevor ich dann Kiel verließ, konnte ich ihm zu seinem 65. Geburtstag 1993 die Festschrift Sprachwandel und Sprachgeschichte mit 25 Beiträgen von renommierten Kollegen überreichen, die in linguistischer Ausrichtung und persönlichem Bezug ihm am besten entsprachen und damit die Breite und Anerkennung seiner Arbeiten unter Beweis stellten, was ihn herzlich beim Akt der Übergabe erfreute.

Die letzten, weiterhin sehr fruchtbaren Jahre des sprachwissenschaftlichen Forschers Helmut Lüdtke konnte ich dann aus dem nahen Rostock verfolgen, wenngleich seine romanische Reiselust mit den Jahren abgenommen hat. Es entstand die frz. Ausgabe seiner Monographie „Grammatischer Wandel (1988) unter dem Titel „Changement linguistique“ (1996) und am 11. Januar 2002 erhielt Helmut Lüdtke den Doctor honoris causa der Universität Potsdam; der schöne Sammelband „Kenntnis und Wandel derSprachenBeiträge zur Potsdamer Ehrenpromotion für Helmut Lüdtke“ hat diesen Festakt mit seinem sowie anderen Beiträgen überliefert. Seine Hauptkraft jedoch wendete er der Monographie „Der Ursprung der romanischen Sprachen. Eine Geschichte der sprachlichen Kommunikation“ zu, die im Westensee-Verlag seines Kollegen  Harald Thun (Kiel 2005) erschienen ist – danach in vermehrter und verbesserter zweiter Auflage 2009.

Der polyglotte Romanist Helmut Lüdtke, der gern und mühelos Gelegenheitsreden in fließendem Latein hielt und sich als Stoiker verstand, war fraglos auch einer der ersten deutschen Lusitanisten der Nachkriegszeit.

Jürgen Schmidt-Radefeldt (Rostock/Kiel)


Nachruf auf Erwin Koller (1947 – 2010)

Nachrufe zu schreiben, ist immer eine traurige Angelegenheit. Besonders wenn es um ein Leben geht, das trotz aller Fülle ein zu frühes Ende gefunden hat. Andererseits war der Tod am 18. April 2010 auch Erlösung von einem köperlichen Leiden, dem ein unstillbarer Wissensdurst und Forschungsdrang und ein oft selbstironischer Humor bis in die letzten Monate die fatale Schwere zu nehmen suchte.

Viele hielten ihn für älter, als er wirklich war. Das lag nicht nur an dem Leiden, das ihn frühzeitig altern ließ, sondern auch daran, dass er einen Hochschullehrer und -forscher vom ‚alten Schlage‘ verkörpert, der sich kantig, in der Sache energisch aber ohne akademische Machtallüren gegen das immer engmaschigere Netz der universitären Reglementierung und Bürokratisierung sträubte und sich auch jeglicher fachlicher Ein- und Unterordnung stets entwand.

Der am 20. Mai 1947 in Innsbruck geborene studierte an der Universität seiner Heimatstadt, wo er promoviert wurde, als Assistent lehrte und forschte bis zur Verleihung der venia legendi. Nach Gastdozenturen im Ausland und einer Vertretung an der Universität Augsburg erhält er den Ruf an die Universität Würzburg. Dort ist er von 1983 bis 1993 als Professor für Deutsche Linguistik tätig, bevor er sich dazu entschließt, mit seiner portugiesischen Frau (erneut) auszuwandern und einen Neuanfang als Professor an der Universidade do Minho zu wagen. In Braga leitete er elf Jahre lang, von 1993 bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung im Juni 2004, die dortige Germanistische Abteilung.

In dieser Zeit hat er ihr ein unverwechselbares Gepräge gegeben, innerhalb der Portugiesischen Germanistik und im weit ausgreifenden Netz von Partnerschaften. Über seine individuellen Forschungen und Studien hinaus hat er zahlreiche Aktivitäten initiiert, unterstützt, haupt- und mitverantwortlich realisiert. An dieser Stelle seien die ambitioniertesten hervorgehoben: das interdisziplinäre Kolloquium Suevos – Schwaben (1996), das an die einstige Rolle Bragas als Hauptstadt des Königsreichs der Sueben (411-585) anknüpft; das grenz- und sprachübergreifende Projekt Frauenlieder – Cantigas de amigo (2000); die Veranstaltung des VI. Deutsch-Portugiesischen Dialogs (2001), der sich besonders den vielfältigen Beziehungen deutschsprachiger Kultur zu Brasilien und umgekehrt widmete. Zu den großen Leistungen Erwin Kollers gehört im Jahre 1999 die Schaffung der Deutsch-Portugiesischen Postgraduation (Spezialisierung und Mestrado) als interkulturelles und bilinguales Aufbaustudium, das – weitsichtig – von Beginn an den Verbund mit Universitäten in Deutschland und Österreich vorsah, in einer Weise wie es dem späteren European Master-Programm entspricht.

Mit einem wachen Blick für das Besondere und das Detail bewegen sich Erwin Kollers Studien oft abseits ausgetretener Wege zwischen Sprachen, Kulturen und Literaturen, die hauptsächlich im Dreieck von Österreich, Deutschland und Portugal zu verorten sind, ohne dabei Exkursionen, vor allem diejenige nach Brasilien (Gastdozentur 1980-81) und ins ferne Japan (Lektor 1975-76 und später Gastdozent) zu vergessen. Mediävistik und Linguistik benennen lediglich Eckpunkte einer Fülle von nicht nur sprachgeschichtlichen sondern vielseitigen, vor allem vergleichenden Untersuchungen in Randgebieten – in jeder Hinsicht. Die Grenze des Sagbaren suchen seine Studien zur Versprachlichung von Krankheit, Verwundung und Schmerz auf, bereits Spezialgebiet seit der Dissertation (Innsbruck, 1971), bevor er sich in der Habilitationsschrift dem Totentanz widmete (Innsbruck, 1980) – ein bis in die Gegenwart zitiertes Referenzwerk. Wiederholt hat er sich mit Negierung und Negation im Sprachvergleich beschäftigt, wobei auch Fremd- und Zweitsprachdidaktik bedacht wird. Stets suchte Erwin Koller Teil-, Sonder- und Grenzgebiete auf. Dies beweist sich zum Beispiel in der synoptischen Ausgabe der 60 portugiesischen Sonette in oberschwäbischer Übersetzung von Karl Moritz Rapp, in den Studien zur Verheiratung Eleonores von Portugal mit Kaiser Friedrich III., zu den Würzburger Tagebuchaufzeichnungen des Grafen August von Platen oder zu der Frage, ob der vielgereiste Oswald von Wolkenstein am portugiesischen Überfall auf Ceuta beteiligt war.

Die produktive Kombination seiner Vorlieben für das Mittelalter, für Sprachgeschichte, Sprachvergleich und Textlinguistik ließen ihn auf überraschende Weise immer Neues entdecken: Kein Wunder, dass er zum unermüdlichen Gefährten vieler Kollegen wurde, von denen die treuesten zu Freunden wurden, und dass er als Dozent und Betreuer von Forschungsarbeiten wache Studenten zum Entdecken von grenzüberschreitenden Fragen und Feldern anregen konnte. Ohne jemals große Töne anzuschlagen, war er so – nicht zuletzt dank seines österreichischen, pardon: seines Tiroler Witzes oder des komplermentären Grantigseins – eine markante, unverwechselbare Persönlichkeit im Übergangsfeld zwischen portugiesischer Germanistik und deutschsprachiger Lusitanistik, die wir jetzt schmerzlich vermissen.

Orlando Grossegesse


In memoriam: Ray-Güde Mertin