Vencedor 2019

Robert Stock

Portrait des Preisträgers 2019

Robert Stock (ORCID: https://orcid.org/0000-0002-2256-0928 ) ist wissenschaftlicher Koordinator der DFG-Forschergruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“ an der Universität Konstanz. Er ist promovierter Kulturwissenschaftler und war Mitglied des International Graduate Centre for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen (2011-2015). Seine Dissertation erschien 2018 unter dem Titel Filmische Zeugenschaft im Abseits. Kulturelle Dekolonisierungsprozesse und Dokumentarfilme zwischen Mosambik und Portugal bei transcript als Open Access Publikation (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4506-4/filmische-zeugenschaft-im-abseits/). Robert Stock studierte Europäische Ethnologie, Portugiesische Philologie und Osteuropastudien in Berlin und Lissabon.

Forschungsschwerpunkte sind dokumentarische Filme, filmische Zeugenschaft, postkoloniale Geschichtspolitiken und kollaborative Filmpraktiken sowie Inklusion, Ausstellungen und digitale Medien, mediale Praktiken des Hörens und Sehens sowie Theorien der Partizipation und Teilhabe

Zusammen mit Teresa Pinheiro hat er 2018 das Themenheft The End of the Portuguese Colonial Empire in Lusophone Cinema (1974-2014) im Journal of African Cinemas (10:3) herausgegeben. Weiterhin ist er Mitherausgeber von senseAbility – Mediale Praktiken des Hörens und Sehens (transcript 2016) und ReClaiming Participation. Technology – Mediation – Collectivity (transcript 2016).

 

Publikationen

A voz dos torturados. Testemunhos, silêncio e mugshots em 48 de Susana de Sousa Dias.” In Lusophone Klangkulturen . Hrsg. von P. W. Schulze und V. M. Carvalho. Peter Lang (im Erscheinen).

“Dundo. Memória Colonial. A Postcolonial Return and the Documentary Politics of History.” in: Journal of African Cinemas 10.3 (2018)

“The Many Returns to Wiriyamu. Audiovisual Testimony and the Negotiation of Colonial Violence.” (Re)Imagining African Independence: Film, Visual Arts and the Fall of the Portuguese Empire. Hrsg. von M. Carmo Piçarra und T. Castro. Peter Lang 2017, 87-107.

„Dokumentarische Praktiken und das postkoloniale Lissabon. Juventude em Marcha von Pedro Costa.” In: Alles andere als unsichtbar/Tudo menos invisível. Hrsg. von T. Pinheiro und K. Sartingen. Frankfurt: Peter Lang 2017, 117-138.

“Cinema and conflict in postcolonial Mozambique. Archival images as illustration and evidence in Estas são as armas (1978).” Mediations of Disruption in Post-Conflict Cinema. Hrsg. von A. Martins, A. Lopes und M. Dias. London: Palgrave 2016, 75-91.

 

Georg Rudolf Lind-Preis 2019

 

 

Verleihung des Georg-Rudolf-Lind-Preises 2019

L A U D A T I O der Präsidentin des DLV

Anlässlich der Verleihung des Georg-Rudolf-Lind-Förderpreises für Lusitanistik 2019 am 12. September 2019 im GoldenenSaal der Stadt Augsburg an Robert Stock  

 

Verehrte Stadträtin Frau Haselmeier,

Spectabilis, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kaufhold (Dekan der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg)

Exmo Sr. Embaixador de Portugal na Alemanha, Sr. Dr. Mira Gomes (Botschafter von Portugal)

Exmo Sr. Cônsul Geral do Brasil em Munique, Sr. Dr. Couto (Generalkonsul von Brasilien in München)

Exmo. Sr. Secretário da Embaixada de Cabo Verde na Alemanha, Sr. Dr. Ramos, (Vertreter der Republik Cabo Verde)

Lieber Robert Stock,

“A nossa memória está nos livros, nas pinturas e nos filmes…., porque o cinema é o espelho da memória, não temos outro.”

Bücher und Filme als Erinnerungsspeicher, das Kino als – einziger und einzigartiger! – Spiegel der Erinnerung, kaum eine Aussage könnte besser die unlösbare, die essentielle, die unabdingbare Verquickung von Memoria und Film zusammenfassen als der Ausspruch des wohl bekanntesten, jedenfalls sicherlich ältesten 106-jährigen (!) portugiesischen Filmemachers Manoel de Oliveira.

Ohne Bücher kein Gedächtnis, ohne Filme keine Erinnerung, so schien der unaufhörliche Subtext von Manoel de Oliveiras weit über 30 eigenen Filme zu lauten.

Medien, Kino, Filme als notwendige Archive unseres Wissens, davon zeugt in ganz beeindruckender Weise die Dissertationsschrift „Erinnerung im Abseits. Erinnerung an koloniale Gewalt, Geschichtspolitik und dokumentarische Filme aus Mosambik und Portugal (1974-2010)“, eine lusitanistisch-erinnerungsgeschichtliche Studie, die der Kulturwissenschaftler Robert Stock am 5. Mai 2017 am Fachbereich Philosophie/Kulturwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen verteidigte, unter der Betreuung von Prof. Dr. Hubertus Büschel und Prof. Dr. Teresa Pinheiro.

Ich freue mich deshalb ganz besonders, Robert Stock als den diesjährigen Georg-Rudolf-Lind-Preisträger für Lusitanistik hier begrüßen und im Namen des Deutschen Lusitanistenverbandes herzlich beglückwünschen zu dürfen. Der Preis des Deutschen Lusitanistenverbandes, der den Namen des großen Romanisten, Lusitanisten und vor allem Portugiesisch-Deutschen Übersetzers Georg Rudolf Lind trägt, ist – erstmalig! – mit 1.000 Euro dotiert und wird alle 2 Jahre an lusitanistische Master bzw. Doktorarbeiten vergeben, um damit besonders gelungene akademische Arbeiten auszuzeichnen und den herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern.

Robert Stocks Dissertation ist eine solche herausragende wissenschaftliche Arbeit: erstmalig wird hier anhand einzigartiger, sehr schwer zugänglicher bzw. nahezu unauffindbarer Materialien zu Portugal und Mosambik der Versuch unternommen, die mosambikanisch-portugiesische Dekolonisierung in ihrem geschichtlichen (Re)-Visionsprozess zu beobachten; d.h. – und das ist das Besondere daran – die hegemoniale und die koloniale Perspektive auf der Basis von Zeugenschaft zusammenzuführen. Als Zeugen dienen in erster Linie Filme, genauer gesagt die noch immer viel zu wenig beachtete Filmgattung des Dokumentarfilms, sowie Dias, Fotos, Archive und sogar architektonische Schauplätze wie Hotel- und Gefängnisruinen. Wie gehen all diese historischen „Texte“ mit dem Thema der Kolonialen Vergangenheit um, wie wird koloniale Gewalt inszeniert, wie laufen kulturelle Dekolonisierungsprozesse ab, wie verändern sich möglicherweise filmische, visuelle, subjektive Deutungsweisen?

Ganz im Sinne unseres Namenspatrons Georg Rudolf Lind, dessen Wirken in einem großartig interdisziplinären Sinne angelegt war, geht es Robert Stock darum, in einem komparatistischen Ansatz an der Schnittstelle von Film-, Medien-, Kulturwissenschaft sowie Kulturgeschichte Widersprüche und Zäsuren hinsichtlich des filmischen Umgangs mit der Erinnerung an koloniale Gewalt aufzuzeigen, und dies anhand von dokumentarischer (dokumentarfilmischer) Zeugenschaft.

Dieses Forschungsinteresse prägt bereits seine gesamte Studienzeit:

Bereits während des Studiums der Europäischen Ethnologie, der Portugiesischen Philologie und der Osteuropastudien, die er an der Freien Universität sowie an der Humboldt-Universität Berlin und in Lissabon von 2002-2009 absolvierte, zeigt Robert Stock sein vergleichend angelegtes, primär historisch-kulturwissenschaftlich ausgerichtetes Profil, das er mit einer Magisterarbeit über „Die museale Repräsentation des portugiesischen Kolonialkriegs (1961–1974) in der Gegenwart“ im Jahre 2009 abschloss. Von 2010 – 2011 war er dann als Stipendiat der Forschungsgruppe „Geschichte + Gedächtnis“ unter Leitung von Prof. Dr. Aleida Assmann an der Universität Konstanz tätig. Nach einem weiteren Promotionsstipendium der Gerda Henkel-Stiftung schloss er schließlich 2017 erfolgreich sein Promotionsstudium an der Justus Liebig-Universität Gießen ab, indem er zentrale und sehr aktuelle Forschungslücken zu schließen wusste.

Die Gutachterin Teresa Pinheiro resümiert deshalb in ihrer Beurteilung zur Dissertationsschrift von Robert Stock:

„Herr Stock befasst sich mit einem höchstaktuellen, nicht nur für Geschichte Portugals und Mosambiks zentralen Thema, das bislang recht wenig erforscht wurde. So hat Herr Stock mit seinem Buch eine wichtige Arbeit vorgelegt, die als ein grundlegender Beitrag zur portugiesisch-mosambikanischen Kolonial- bzw. Dekolonisierungsgeschichte anzusehen ist. Die Dissertation stellt ebenso einen innovativen Beitrag zur erinnerungs- sowie gedächtnistheoretischen Erforschung von Dokumentarfilmen dar […]“ (Gutachten Teresa Pinheiro)

Da Mosambik ein besonders zentrales, zugleich aber ein bislang schmerzlich wenig erforschtes Beispiel für antikoloniale mediale Inszenierungen darstellt, besteht „eine herausragende Leistung der Arbeit darin, dass mit dieser zahlreiche, dem deutschsprachigen Publikum wenig bekannte sowie teils auch schwer zugängliche Dokumentarfilme erschlossen werden.“ (Zitat TP)

Die Thematik der Arbeit ist derzeit besonders aktuell. 2014 und 2015 jährten sich zum 40. Mal Ereignisse, die für das lusophone Afrika und für Portugal gleichermaßen prägend waren. Die portugiesische Revolution beendete den Kolonialkrieg bzw. Unabhängigkeitskampf zwischen dem Estado Novo und den Befreiungsbewegungen in den afrikanischen Kolonien Angola, Mosambik und Guiné-Bissau. 40 Jahre danach ist ein neuer Umgang mit dem Thema zu beobachten. Romane, Filme, Fernsehdokumentationen, künstlerische Interventionen widmen sich in zunehmendem Maße der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit.

Dabei hebt der Gutachter Hubertus Büschel insbesondere den hohen Grad an Differenziert in Stocks Doktorarbeit besonders hervor und betont, dass „Die Arbeit […] die Multiperspektivität im Umgang mit dem Kolonialismus [anerkennt]. Die Berücksichtigung von portugiesischen Produktionen ist für die Perspektive der ehemaligen Kolonialmacht unabdingbar.“ (Zitat Hubertus Büschel)

Als besonders verdienstvoll ist zu würdigen, „dass die Arbeit einen breiten Korpus der dokumentarischen Filmographie aus dem lusophonen Raum für die deutschsprachige scientific community erschließt, in der Fragen der Aufarbeitung des Kolonialismus und von Zeugenschaft im Film diskutiert werden. Die Arbeit stellt einen wichtigen Beitrag zu den lusophonen Studien, der Filmwissenschaft und Gedächtnistheorien dar.“ (Zitat HB)

Ich bin überzeugt davon, dass sich die Dissertation von Robert Stock sicherlich sehr gut in die große Reihe unserer PreisträgerInnen einreiht, und freue mich besonders, dass sie uns durch ihren originellen Zugang zu einem wenig bekannten Korpus Zugang zu unserer eigenen memoria bietet!

“A memória é muito caprichosa, fixa umas coisas e não fixa outras. Fixa uma coisa que aparentemente não vale nada e esquece uma coisa que é muito forte.” Um noch einmal den portugiesischen Filmemacher Manoel de Oliveira zu bemühen.

Danke dafür, lieber Robert, und nochmals herzlichen Glückwunsch; im Namen des Deutschen Lusitanistenverbandes wünsche ich dir alles Gute mit dem akademischen Georg-Rudolf-Lind-Preis für Lusitanistik, auf dass er dich auf deinem weiteren Werdegang vielseitig begleiten möge! Ich danke Ihnen.

Kathrin Sartingen, Präsidentin des DLV

Augsburg, im September 2019