Einladung zum 15. Deutschen Lusitanistentag und Aufruf zur Sektionsbildung
Portugiesisch: globale Sprache des 21. Jahrhunderts – Kulturen, Literaturen, Wissenschaft und Wirtschaft
Mit aktuell mehr als 260 Millionen Sprechern ist das Portugiesische Amtssprache in neun Staaten in Afrika, Amerika, Asien und Europa, die die Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder (CPLP) bilden. Darüber hinaus leben mehr als fünf Millionen portugiesischsprachige Migrantinnen und Migranten auf allen Kontinenten. Sei es als Muttersprache, als Zweitsprache oder Verkehrssprache, das Portugiesische ist Kommunikationssprache in einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Kulturen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten, in denen die Akteure unabhängig von ihrer Erstsprache politische Ideen und kulturelle Manifestationen auf Portugiesisch artikulieren. Dabei ist Portugiesisch eine plurizentrische Sprache mit zwei gut etablierten Varianten (der europäischen und der brasilianischen) und weiteren aufstrebenden Varianten in Afrika und Timor-Leste, die sich im Kodifizierungsprozess befinden, aber in den kommenden Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.
Durch die Integration der portugiesischsprachigen Länder in verschiedene regionale Blöcke (EU, Afrikanische Union, Mercosur, UNASUL, SADC, Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, Zentralafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ASEAN) und multilaterale Staatengruppierungen wie den BRICS-Staaten, dem Macau-Forum und dem Dialogforum Indien – Brasilien – Südafrika (IBAS) ist die internationale Bedeutung und Ausstrahlung des Portugiesischen in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen. Dieser Prozess vollzog sich zeitgleich zu dem starken wirtschaftlichen Wachstum von Staaten wie Brasilien und Angola zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommt eine wachsende Popularität gewisser kultureller Tendenzen aus der portugiesischsprachigen Welt in den Bereichen Musik, Film und Literatur.
Im Hinblick auf das Portugiesische als Wissenschaftssprache ist festzustellen, dass Organisationen wie die Vereinigung der portugiesischsprachigen Universitäten (AULP) und neu geschaffene Infrastrukturen für qualitativ hochwertige Open-Acces-Publikationen wie das Portal Scielo zur Schaffung eines aufstrebenden portugiesischsprachigen Raums für akademischen und wissenschaftlichen Austausch einen wichtigen Beitrag geleistet haben.
Eine Folge dieser Tendenzen einer erhöhten Wahrnehmbarkeit und Bedeutung des Portugiesischen als globaler Sprache ist das wachsende Interesse am Erlernen des Portugiesischen in vielen lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern, aber auch in China und Indien.
Trotz der kulturellen Heterogenität der portugiesischsprachigen Räume, wird die Kommunikation zwischen Sprechern des Portugiesischen aus unterschiedlichen Teilen der Welt durch die neuen Technologien erleichtert, indem beispielsweise bei geringen Kosten Referentinnen und Referenten für digitale oder hybride Tagungen gewonnen werden können. Doch ist diese neue Tendenz nicht auf die akademische Welt beschränkt. Das Internet und die sozialen Medien erleichtern die Interaktion von Sprechern des Portugiesischen aus verschiedenen Teilen der Welt, so können beispielsweise Sprecher verschiedener Varianten des Portugiesischen gemeinsam an einem Wikipedia-Artikel schreiben und so eine weltweit akzeptierte neue Variante aushandeln. Im Bereich der Wirtschaft trägt die Eröffnung von Tochtergesellschaften von Unternehmen aus portugiesischsprachigen Ländern in anderen portugiesischsprachigen Ländern dazu bei, dass vor allem in der internen Unternehmenskommunikation die verschiedenen Varianten in Interaktion treten.
Auf dem 15. Deutschen Lusitanistentag laden wir ein, die oben aufgezeigten relevanten Fragestellungen zur aktuellen Situation des Portugiesischen als globale Sprache aus unterschiedlichen disziplinären und interdisziplinären Blickwinkeln zu beleuchten und zu diskutieren. Darin eingeschlossen sind auch historische Analysen, ohne die die Gegenwart nicht zu verstehen ist, wie auch die Extrapolation der Entwicklung des Portugiesischen als globale Sprache in der Zukunft.
Das Faktum, dass das Portugiesische heute eine der wenigen globalen Sprachen ist, die auf vier Kontinenten präsent ist, ist der Geschichte des portugiesischen Kolonialismus geschuldet. Von daher stellt sich die Frage nach der Kolonialität des Portugiesischen als globale Sprache, besonders deutlich in Bezug auf das Konzept der Lusophonie. Ein anderes Beispiel ist die Frage der Aufoktroyierung einer Norm des Portugiesischen, die sich von der jeweiligen Vernakularvariante des Portugiesischen stark unterscheidet. Die Frage der Kolonialität erscheint jedoch in Bezug auf das Portugiesische komplexer als bei anderen Sprachen mit einem starken kolonialen Erbe, da auch die antikolonialistischen Befreiungsbewegungen (z.B. Fretelin in Timor-Leste) dezidiert das Portugiesische als Sprache der nationalen Identität und als Kommunikationssprache zur Artikulation ihrer politischen Forderungen während des Kampfes um die Unabhängigkeit gewählt haben. Aus interdisziplinärer Sichtweise stellt sich die Frage nach der versteckten Kolonialität in verschiedenen Wissensbereichen, z.B. in der Literatur, im Film, in der Musik, in der Geschichtsschreibung, in sozialen und anthropologischen Theorien.
Aus interdisziplinärer Sicht stellt sich noch eine andere Frage, nämlich die der Interkulturalität des Portugiesischen, und zwar sowohl innerhalb der Gesellschaften der portugiesischsprachigen Länder (z.B. zwischen den verschiedenen autochthonen Bevölkerungsgruppen, Minderheiten, Migrantengruppen, ländlicher und urbaner Bevölkerung), wie auch in Bezug auf Migrations- und Exilerfahrungen, den Kontakt von Menschen aus verschiedenen portugiesischsprachigen Ländern, aber auch in Bezug auf Kontakte nach außen (z.B. internationale Diplomatie, Handel, Entwicklungszusammenarbeit, im Gesundheitswesen, beim akademischen Austausch und der Forschungszusammenarbeit, bei militärischen und zivilen Friedenseinsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen, Tourismus, Studierendenmobilität).
Auf den Gebieten der Literatur und der Filmwissenschaft stellt sich beispielsweise auch die Frage, wie die ästhetisierten Erfahrungen in der konkreten oder historisch rekonstruierten Wirklichkeit der jeweiligen portugiesischsprachigen Länder verankert sind und in welchem Grad sich hier auch Universelles manifestiert. Sowohl in der Literatur als auch im Film lässt sich beobachten, dass in bestimmten Werken andere lusophone Räume als derjenige der Herkunft der jeweiligen Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseuren ausgekundschaftet werden. (vgl. manche Thematiken bei Autoren wie José Agualusa, Mia Couto, António Lobo Antunes, José Maria Ferreira de Castro oder auch in einigen Bestsellern von Miguel Sousa Tavares).
Im Rahmen dieses Kongresses sind darüber hinaus, aber auch Beiträge von Interesse, die aktuelle Tendenzen in Literatur und Film der portugiesischsprachigen Länder und Diasporen untersuchen: neue ästhetische Formen, Thematiken, aber auch den Ort von Literatur und Film in der historischen Entwicklung des Portugiesischen zu einer globalen Sprache und die Bedeutung einzelner Schriftstellerinnen und Schriftsteller bzw. Regisseurinnen und Regisseure. Eine weitere interessante Frage ist die nach dem Zusammenhang von Sprache und Identität in Literatur und Film, die Darstellung von Mehrsprachigkeit wie auch literarische Bestrebungen, das Portugiesische durch die Verwendung einer eigenen im Kontakt mit den anderen nationalen Sprachen entstehenden Variante zu dekolonisieren, wie dies beispielsweise in der angolanischen Literatur seit dem Erzählband Vidas Novas von Luadino Vieira, der noch vor der Unabhängigkeit erschien, geschieht und auch heute noch diskutiert wird.
Ein anderer relevanter Punkt ist die Frage nach der Rezeption der portugiesischsprachigen Literatur in den jeweils anderen portugiesischsprachigen Ländern, aber auch im Rest der Welt – dabei im Kontext dieser Tagung besonders die Rezeption in den deutschsprachigen Ländern.
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage nach der portugiesischen Sprache an sich. Was können die verschiedenen sprachtheoretischen Ansätze zur Deskription des Portugiesischen in Diachronie und Synchronie beitragen? Das Portugiesische als globale Sprache besteht aus einem äußerst komplexen Diasystem, das zusätzlich bereichert wird durch seine Plurizentriertheit und die sich im Kodifikationsprozess befindenden neuen Varianten. Das Portugiesische als globale Sprache ist in Kontakt mit einer sehr großen Zahl unterschiedlichster Sprachen und hat diese beeinflusst oder wurde von diesen beeinflusst, woraus sich bis heute sehr unterschiedliche Mehrsprachigkeitskonstellationen ergeben: Mirandesisch, Spanisch, Arabisch, amerikanische Sprachen (z.B. aus den Sprachfamilien Tupi-Guaraní, Karib, Arawak, Arawá, Tukano und Yanomani), afrikanischen Sprachen (z.B. Fon, Yoruba, Kikongo, Kimbundu, Umbundu, Ronga, Changana), Kreolsprachen (z.B. Kabuverdianu, Forro, Angolar), asiatische Sprachen (z.B. Konkani, Marathi, Tamilisch, Malaiisch, Kantonesisch, Mandarin, Japanisch), austronesische Sprachen wie Tetum, Gebärdensprachen (z.B. LIBRAS, LGP, LSM, LGA, LGG, LGSTP, Kapverdianische Gebärdensprache) und schließlich auch Migrantensprachen (z.B. Italienisch, Pommerisch, Ukrainisch, Japanisch, Jiddisch). Weiters stellt sich die Frage nach Neologismen, den Fachsprachterminologien in verschiedenen Varianten des Portugiesischen, die Dokumentation des Wortschatzes in allgemeinen und spezialisierten lexikographischen Werken in gedruckter und digitaler Form. Weitere gewichtige Themen sind das Portugiesische als Wissenschaftssprache, Sprache und Medien, diskursive Traditionen in der lusophonen Welt, Textgenres und Textsorten des Portugiesischen, gesprochenes Portugiesisch, soziopragmatische Unterschiede und Konvergenzen, Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation auf Portugiesisch. Zu erwähnen ist auch die Frage nach der Sprachpolitik, z.B. in Familie, in Unternehmen bzw. Institutionen sowie auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
In Bezug auf die Angewandte Sprachwissenschaft sind Übersetzen und Dolmetschen Schlüsselbereiche für die sprachliche und kulturelle Mittlung zwischen Sprachgruppen. Sie besitzen Relevanz in all ihren Dimensionen: Ausbildung von auf Portugiesisch spezialisierten Übersetzerinnen und Übersetzern sowie Dolmetscherinnen und Dolmetschern, Community Interpreting, Konferenzdolmetschen, Dolmetschen im Gerichtswesen, bei Geschäftsverhandlungen oder Verhandlungen im Kontext der Diplomatie, literarische und Fachübersetzung, Untertitelung und Synchronisierung von Filmen. Was sind die spezifischen Herausforderungen des Portugiesischen als globale und plurizentrische Sprache in all diesen Gebieten?
Wie zuvor schon erwähnt ist eine Folge der ständig wachsenden Bedeutung des Portugiesischen als globale Sprache die weltweit wachsende Nachfrage nach Portugiesisch als Fremdsprache. Folglich stellt sich hier die Frage nach dem geeigneten Curriculum für die entsprechende Zielgruppe, wie man die vier Fertigkeiten entwickeln kann, wie interkulturelle und Text- und Diskurskompetenz, die jeweils die unterschiedlichen Kulturen des portugiesischsprachigen Raumes einbeziehen, und zwar für die unterschiedlichen Lern-Lehr-Kontexte: Sekundarschule, Hochschule, Erwachsenenbildung. Es gilt, Lehrwerke auf die zugrunde liegenden Methodologien und Ideologien zu untersuchen. Es stellt sich zudem die Frage nach dem Portugiesisch-als-Fremdsprache-Unterricht in Unternehmens- und Hochschulkontexten. Im Zusammenhang mit dem Tagungsthema, interessiert, darüber hinaus auch die Frage des nicht-muttersprachlichen Unterrichts des Portugiesischen für Bewohner der portugiesischsprachigen Länder: seien es Staatsbürger/innen mit anderen Muttersprachen (einschließlich der Gebärdensprachen) oder Migrant(inn)en. Im deutschsprachigen Kontext ist zudem der Unterricht des Portugiesischen als Herkunftssprache von Bedeutung.
Die Tagungssprachen sind wie üblich Portugiesisch, Galicisch und Deutsch. Der DLV und die Westsächsische Hochschule Zwickau laden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen ein, sich über die unterschiedlichen Dimensionen des Portugiesischen als globale Sprache, seine Kulturen und Literaturen sowie seine Relevanz für Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und internationale Beziehungen auszutauschen. Die in Frage kommenden Themen sind nicht auf die Länder beschränkt, in denen Portugiesisch Amtssprache ist, sondern können auch die portugiesischsprachigen Diasporen einbeziehen. Sektionsvorschläge von etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind ebenso willkommen wie Vorschläge von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern und Fachexpertinnen und Fachexperten. Bitte schicken Sie Ihre Vorschläge bis zum 30. September 2022 an den Präsidenten des DLV, Herrn Prof. Dr. Benjamin Meisnitzer (benjamin.meisnitzer@uni-leipzig.de). Geben Sie bei Ihrer Einreichung bitte bereits zwei potenzielle Sektionsgäste an, für deren Reisekosten Sie eine (Teil-)Finanzierung anstreben, unter Angabe einer Kurzvita (ca. 5-10 Zeilen) und einem möglichen Thema bzw. einer Begründung des thematischen Bezuges und der Relevanz für die von Ihnen vorgeschlagene Sektion.
Thomas Johnen
Zwickau, im Mai 2022