Migration und Exil

Migration und Exil

Themenbeschreibung des 10. Deutschen Lusitanistentages

Der 10. Lusitanistentag hat sich unter dem Rahmenthema Migration und Exil das ehrgeizige Ziel gesteckt, in Hamburg, „der angeblich ‚portugiesischsten‘ Stadt in Deutschland“ (Michael Studemund-Halevy, Portugal in Hamburg, S. 24), die portugiesischsprachige Literatur, Kultur und Linguistik in ihrer schillernden Vielfalt einem breiten akademischen Publikum, aber auch der großen lusophonen bzw. lusophilen Gemeinde Hamburgs zu präsentieren und zugänglich zu machen. Sein anspruchsvolles, sowohl internationales als auch im besten Wortsinn inter- und sogar transdisziplinäres Programm soll Wissenschaftlern aus der ganzen Welt eine Plattform bieten, die laufenden wissenschaftlichen Debatten auf dem weiten Feld der Lusitanistik nicht nur vorzustellen, sondern auch voranzubringen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Kontinenten, in denen Portugiesisch gesprochen wird – mithin Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika – werden sich in Hamburg versammeln, um unter dem Rahmenthema Migration und Exil einen Überblick über den Stand der Entwicklung in traditionelleren ebenso wie in innovativen Forschungsansätzen, -perspektiven und -methoden zu geben. Zu dieser in der deutschsprachigen Lusitanistik einzigartigen Großveranstaltung werden voraussichtlich mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Mit Migration und Exil wurde ein Dach gefunden, unter dem sich die Sprach-, Literatur- und Landes- bzw. Kulturwissenschaften ebenso problemlos wiederfinden können, wie angrenzende Gebiete mit geschichts-, politik-, sozial- oder kunstwissenschaftlichen Interessen. Selbstverständlich ist hier auch Raum für medienwissenschaftliche Fragestellungen aus dem Bereich Presse, Film, Fernsehen Theater oder dem weltweiten Netz.

Seit 1995 findet der Deutsche Lusitanistentag in einem zweijährigen Rhythmus an Universitäten im deutschsprachigen Raum statt, zuletzt in München (2009) und Wien (2011). Mit Hamburg wurde diesmal ein Ort gewählt, der schließlich auch das Thema der Veranstaltung in gewisser Weise beeinflusst hat. Besonders hier sind die Beziehungen zu Portugal schon seit dem 15./16. Jahrhundert, als jüdische Glaubensflüchtlinge aus Portugal in Hamburg eine neue Heimat fanden, aber auch seit der ökonomisch oder politisch motivierten Gastarbeiterwelle der 1960er Jahre sehr vielfältig und intensiv. Das schlägt sich nicht nur nieder in einem ‚Portugiesenviertel‘ oder dem ‚Portugiesenfriedhof‘, sondern auch in der Tatsache, dass die Hamburger Romanistik seit ihrem Bestehen auch das Portugiesische in ihrem Lehr- und Forschungsprofil verankerte.

Hamburg könnte deshalb zu einem Ort werden, der dem Thema Migration und Exil in besonderer Weise gerecht wird und dies natürlich nicht nur aus portugiesischer Perspektive; auch zu Zeiten des brasilianischen Estado Novo unter Getúlio Vargas und später während der Militärherrschaft wurden viele brasilianische Schriftsteller und Intellektuelle ins Exil gezwungen. Im portugiesischen Sprachraum wird Migration im Prinzip immer zusammengedacht mit der Geschichte der Entdeckungen, was sowohl eine historische als auch eine räumliche Tiefendimension des Themas eröffnet, das neben dem Exil zwischen freiwilliger oder unfreiwilliger Emigration, Immigration, aber auch Remigration oszilliert (man denke etwa an die retornados nach dem Ende des portugiesischen Kolonialreichs). Dadurch könnte der Blick geschärft werden für die Diskussion über das Gemeinsame und das Trennende, das Eigene und das Fremde von Kulturen, deren gemeinsame Basis die portugiesische Sprache ist, die innerhalb der so genannten Lusophonie immer noch lebhaft geführt wird. Daneben muss aber auch hervorgehoben werden, dass die konkreten Erfahrungen von Migration oder Exilin vielerlei Hinsicht (sprachlich, kulturell, anthropologisch, soziologisch, psychologisch usw.) v.a. das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft berühren und letztlich auf die gleichen existenziellen Fragen zurückwerfen, die der conditio humana inhärent sind.

Alle am Portugiesischen Interessierten sind herzlich eingeladen, sich an den wissenschaftlichen Diskussionen, die sich diesen Problemen unter unterschiedlichen Fragestellungen nähern, zu beteiligen und am 10. Lusitanistentag in Hamburg aktiv teilzunehmen, wobei wir einerseits zu berücksichtigen bitten, dass sich das Rahmenthema in den Sektionstiteln spiegeln sollte, andererseits hervorheben wollen, dass neben sprach- und literaturwissenschaftlichen Beiträgen auch solche aus den Kultur- und Medienwissenschaften willkommen sind wie auch solche aus angrenzenden Gebieten mit geschichts-, politik- oder sozial- oder kunstwissenschaftlichen Fragestellungen.

Martin Neumann, Hamburg