Preisträgerin 2021

Georg-Rudolf-Lind-Förderpreis 2021

Porträt von Jasmin Wrobel (Preisträgerin)

Jasmin Wrobel studierte Romanische Philologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Zwischen 2013 und 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Literaturen und Kulturen Lateinamerikas am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, wo sie 2019 mit einer Studie zu dem polyphonen Hauptwerk Galáxias des brasilianischen konkreten Dichters Haroldo de Campos promovierte. Die Studie erschien 2020 unter dem Titel Topografien des 20. Jahrhunderts. Die memoriale Poetik des Stolperns in Haroldo de Campos’ Galáxias im De Gruyter Verlag. Seit 2019 ist sie Research-Track Postdoc und akademische Koordinatorin am Exzellenzcluster EXC 2020 “Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective” an der Freien Universität Berlin, wo sie an einem neuen Projekt mit dem Titel Body / Images – Foreign / Gazes: (Feminine) Territoriality and CorpoGraphy in Latin American Graphic Narratives forscht.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind neben der konkreten Poesie Comics und graphische Narrative in Lateinamerika und Spanien, feministische Bewegungen, Barock und Neobarock sowie literarisch-kulturelle Beziehungen zwischen Brasilien und Hispanoamerika. Weite Informationen finden Sie auf der Homepage von Frau Wrobel:

 


Porträt von Janek Scholz (Lobende Erwähnung)

Janek Scholz (ORCID: https://orcid.org/0000-0002-9288-4610) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Portugiesisch-Brasilianischen Institut der Universität zu Köln. Er studierte in Jena Romanistik, Auslandsgermanistik und anglistische Sprachwissenschaft, verbrachte ein Jahr als Erasmus-Student an der Università degli Studi di Napoli, L’Orientale und war im Anschluss an sein Studium an der Universidade Federal do Ceará in Fortaleza als Sprachassistent für den DAAD tätig. Von Januar 2018 bis Dezember 2020 absolvierte er ein Doktoratsstudium an der Universität Wien bei Prof. Dr. Kathrin Sartingen und wurde im Dezember 2020 mit einer Arbeit zur Figur der Kartenlegerin in der brasilianischen Literatur promoviert. Sein aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Transgeschlechtlichkeit in der romanischsprachigen Gegenwartsliteratur, weitere Interessen liegen im Bereich des brasilianischen und luso-afrikanischen Comics, der narrativen Hegemonie und der luso-italienischen Beziehungen. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von Herrn Scholz: https://pbi.phil-fak.uni-koeln.de/en/personen/wissenschaftliche-mitarbeiterinnen/janek-scholz 


Verleihung des Georg-Rudolf-Lind-Preises 2021

L A U D A T I O der Präsidentin des DLV

 

Anlässlich der Verleihung des Georg-Rudolf-Lind-Förderpreises für Lusitanistik 2021 am 15. September 2021 an der Universität Leipzig an Jasmin Wrobel

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Liebe Lusitanistinnen und Lusitanisten,

 

Sua Excelência, Embaixador Francisco Ribeiro de Menezes

 

Lieber Janek Scholz,

 

Liebe Jasmin Wrobel,

 

„pode não parecer mas cada palavra pratica / uma acupunctura com agulhas de prata especialmente afiladas e que penetram um preciso ponto nesse tecido conjuntivo quando se lê” (Galáxias, 1984)

 

Mit diesem Zitat aus dem Werk Galáxias des brasilianischen Dichter Haroldo de Campos beginnt die Dissertation Jasmin Wrobels. Mit Wörtern, die gleich Akupunkturnadeln unser Denken stimulieren und heilen schrieb sich Haroldo de Campos (1929-2003) durch die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts.

 

Das Langgedicht Galáxias, bestehend aus 50 sogenannten Fragmenten, verfasst zwischen 1963 und 1976, wurde 1984 veröffentlicht. Es lässt die Bewegung der brasilianischen konkreten Poesie, zu deren Mitbegründer Haroldo de Campos gehörte, hinter sich zurück und nähert sich – hermetisch, neobarock – lebensweltlichen Kontexten an, die an den Stellen besonders transparent werden, die Jasmin Wrobel mit kreativem, analytischem Geschick als „Stolpersteine“ konzeptualisiert hat.

 

Ihre Dissertation mit dem Titel Topografien des 20. Jahrhunderts: Die memoriale Poetik des Stolperns in Haroldo de Campos Galaxias, legte Jasmin Wrobel am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin vor. Betreut wurde sie dort von Prof. Dr. Susanne Klengel. Als Zweitgutachterin fungierte Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans an der Ruhr-Universität Bochum. Jasmin Wrobel schloss Ihre Promotion 2019 mit der Note summa cum laude ab. 2020 erschien die Dissertation im Buchformat beim renommierten De Gruyter Verlag.

 

Der Vorstand des Deutschen Lusitanistentverbands hat einstimmig entschieden, Jasmin Wrobel für ihre Doktorarbeit mit dem Georg Rudolf Lind-Förderpreis für Lusitanistik auszuzeichnen.

 

Liebe Jasmin, ich darf dir hiermit im Namen des Vorstands des Deutschen Lusitanistenverbands sowie der Botschaft von Portugal in Berlin, die den Lusitanistentag einmal mehr großzügig unterstützt, ganz herzlich zu diesem Preis gratulieren!

 

Im Zweijahresrhythmus verleiht der Deutsche Lusitanistenverband diesen Preis an herausragende Master- oder Doktorarbeiten, die an deutschsprachigen Universitäten eingereicht und verteidigt wurden. Zum achten Mal wird der mit 1000 EUR dotierte Preis heute verliehen.

 

Dem 1926 geborenen und 1990 verstorbenen Professor der Universität Graz, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Georg Rudolf Lind, zu dessen bekanntesten Werken die Monographie Teoria poética de Fernando Pessoa. (Porto: Inova, 1970) gehört, bescheinigt Ulrich Schulz-Buschhaus in seinem Nachruf (ich zitiere) „die Disposition einer besonderen methodischen Offenheit, die jede Einseitigkeit für suspekt hielt“. Nicht Jasmin Wrobles besonders vielseitige Herangehensweise, wäre daher sicher auch in seinen Augen auszeichnungswürdig gewesen.

 

Das komplexe Werk Haroldo de Campos – Entwurf einer Ästhetik, die ihn auf die Höhe derer hebt, die er verehrte, und auf die er sich intertextuell bezog (allen voran Ezra Pound, aber auch Joyce, Mallarmé und Dante) – analysiert Jasmin Wrobel mit bewundernswertem Fingerspitzengefühl, großer Ausdauer und einer konzeptuellen Kreativität, die überzeugt und dazu führt, dass es der Verfasserin gelingt, einen innovativen Beitrag zur Forschung zu leisten.

 

Sie liest die Galáxias – anders als die Forschungsliteratur bisher – vor allem in Hinblick auf das, was sie an Realität enthalten, als Zeitzeugnis der Katastrophen des 20. Jahrhundert, allen voran des Holocausts, aber auch des Vietnamkriegs und systemischer Gewalt in Lateinamerika. Die Verarbeitung der Reisen des Autors ins Europa der späteren Nachkriegszeit sowie seine Begegnung mit Ezra Pound stehen dabei besonders im Mittelpunkt.

 

Als kritisches Analyseinstrumentarium schlägt Jasmin Wrobel – in Anlehnung an die von Gunter Demnig konzipierten Stolpersteine – eine „Poetik des Stolperns“ vor. Textuelle Stolpersteine, Stolperfallen, sprachliches Stolpern oder Stottern, Sprechblockaden, Störimpulse, mentales Stolpern – all diese Begriffe werden produktiv zum Einsatz gebracht, um zu zeigen, wo und wie Haroldo de Campos bei der Verarbeitung großer Tragödien der Menschheit, den Lesefluss behindert und Verfremdungseffekte erzeugt.

 

Die Gutachterin Susanne Klengel würdigt die Arbeit unter anderem mit folgenden Worten:

 

„Sämtliche Analysen in dieser Arbeit erfolgen auf eine ähnlich präzise Weise und belegen Frau Wrobels Ausgangshypothese, dass die Hermetik dieses Langgedichts eine überaus profunde und verblüffend konkrete Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte enthält und als Möglichkeit einer poetischen Verarbeitung der Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts präsentiert wird. Ihre Feststellung, Haroldo de Campos habe mit den Galáxias im Sinne eines kritischen Gegenentwurfs das große Dante’sche Projekt des letztlich politisch und menschlich gescheiterten [Er]Neuerers der poetischen Sprache, Ezra Pound, zu Ende geführt, wie es in der konzisen Schlussbetrachtung (Kapitel 6) heißt, erscheint vor diesem Hintergrund sehr plausibel — es ist ein Weg ins Paradies, welches ‚nach der großen Katastrophe [ … ] nur in Fragmenten dargestellt werden kann‘ (S. 352).“

 

Die Zweitgutachterin Monika Schmitz-Emans resümiert:

 

„Das Oeuvre von de Campos wird auf eine ausnehmend kompetente, facettenreiche und instruktive Weise erschlossen, seine Bedeutung im Kontext der poetischen Avantgarden gewürdigt. Die Arbeit vermittelt monographieartig Kenntnisse über den Zusammenhang von Lebensstationen und Werken, intertextuellen Vernetzungen und thematischen Schwerpunktbildungen. Sie profiliert sich dabei als nützliche Übersichtsdarstellung über große Zusammenhänge und Tendenzen ebenso wie als pointierter Beitrag zur Spezialforschung zu de Campos und seiner Poetik.“

 

Jasmin Wrobel studierte Hispanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und erhielt dort 2007 zunächst ihren Bachelor of Arts. Während ihrem Master-Studium an derselben Universität, das sie 2010 abschloss, arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Romanischen Seminar. Von 2012 bis 2015 war sie assoziiertes Mitglied am Internationalen Graduiertenkolleg Entre Espacios / Zwischen Räumen, am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, sowie von 2013 bis 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Lateinamerikanischen Literaturen und Kulturen am Lateinamerika-Institut der Freie Universität Berlin, am Lehrstuhl von Prof. Dr. Susanne Klengel, wo sie mit der hier prämierten Arbeit promovierte.

 

Derzeit arbeitet sie als Postdoktorandin und akademische Koordinatorin am Cluster of Excellence 2020 „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective“ an der Freien Universität Berlin und erforscht die Darstellung von Frauenfiguren im spanischen und lateinamerikanischen Comic.

 

Bevor der Botschafter Jasmin Wrobel die Urkunde überreicht, möchte ich noch eine weitere Dissertation lobend erwähnen, die dieses Mal für den Georg Rudolf Lind Preis eingereicht und ebenfalls mit der Bestnote bewertet wurde: Es handelt sich um die Dissertation von Janek Scholz mit dem Titel Coisas futuras! Die metapoetologische Funktion der Kartenlegerin im Kontext des globalen Südens am Beispiel brasilianischer Literatur. Die Arbeit wurde von Prof. Dr. Kathrin Sartingen und Prof. Dr. Susana Kampff Lages betreut und im Dezember 2020 an der Universität Wien verteidigt wurde. Herzlichen Glückwunsch, lieber Janek, zu dieser hervorragenden Leistung!

 

Und nun schreiten wir zur Überreichung des Preises an Jasmin Wrobel. Nochmals ganz, ganz herzliche Glückwünsche, liebe Jasmin, und alles Gute für deinen weiteren akademischen Werdegang.

 

 

Doris Wieser, Präsidentin des DLV

Leipzig, September 2021