Thesen

Axel Schönberger (Bremen)

Thesen zur weiteren Entwicklung der Romanistik (1)

Mit nachstehenden Thesen möchte ich einen Beitrag zu der von Matthias Perl und Klaus Zimmermann in Lusoramabegonnenen (2) und in dieser Ausgabe von Rainer Schlösser, Hans-Ingo Radatz und Johannes Kramer fortgesetzten (3) Diskussion liefern. Alle fünf, in vorliegendem Band nachgedruckten Beiträge enthalten die Diskussion belebende Analysen und Gedanken. Anders als Matthias Perl und Klaus Zimmermann und in Übereinstimmung mit Rainer Schlösser und Johannes Kramer bin ich insbesondere in einem zentralen Punkt, dem der Lateinkenntnisse, der Meinung, daß fundierte Lateinkenntnisse die conditio sine qua non für einen Romanisten sind und bleiben müssen; ohne gute Kenntnis des Lateinischen ist eine historische Perspektive in Sprach- und Literaturwissenschaft der einzelnen romanischen Sprachen nicht möglich, welche nach überwiegendem Konsens zum unverzichtbaren Kernbereich der Romanischen Philologie gehört. Romanische Seminare, die einen «lateinlosen» Studiengang der Romanistik ermöglichen, bieten den Studierenden eine «Mogelpackung» und mit Sicherheit eine schlechtere Ausbildung als diejenigen Seminare, die an den bewährten Traditionen des Fachs festhalten, an. Es ist außerdem für Romanistikstudenten heute wichtiger denn je – und hier stimme ich unbedingt den vorstehenden Ausführungen von Hans-Ingo Radatz zu -, daß sie passive Kenntnisse in möglichst vielen romanischen Sprachen erwerben; auch hierfür sind fundierte Lateinkenntnisse ein ausgezeichnetes Fundament. Daß darüber hinaus je nach Forschungsrichtungen und zu untersuchenden Einzelsprachen auch weitere Kontaktsprachen wie Indianersprachen oder afrikanische Sprachen von Belang sein können, gehört in einen anderen Zusammenhang.

Ich verzichte hier auf die Anführung der vielen weiteren Diskussionsbeiträge, die zu diesem Thema in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, ebenso wie auf längere Ausführungen oder Begründungen, da ich im folgenden in erster Linie einige Prognosen in Thesenform zur weiteren Diskussion in utramque partem vorstellen will. Ich betone hierbei ausdrücklich, um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, daß es sich um Entwicklungstendenzen handelt, von denen ich meine, daß sie absehbar sind, die ich aber in dieser Form selbst nicht für wünschenswert halte; meinen eigenen, diesen Entwicklungstendenzen eher entgegengesetzten Standpunkt, wie ich mir eine weitere Entwicklung der Romanistik (und damit auch der Lusitanistik) wünschen würde, habe ich bereits an anderer Stelle dargestellt. (4) Johannes Kramer und Brigitte Schlieben-Lange haben kürzlich zwei überzeugende Plädoyers für die Beibehaltung einer umfassenden Romanistik veröffentlicht, denen ich mich inhaltlich gerne anschließe; (5) ich befürchte nur, daß die weitere Entwicklung in eine andere Richtung gehen wird, als viele, deren Herz noch an einem traditionelleren Fachkonzept hängt, es sich wünschen. Ausgeschlossen dürfte in jedem Fall sein, daß eine Rückkehr zu den Verhältnissen der sechziger Jahre, wie sie Konrad Schoell in den Mitteilungen des Frankoromanistenverbandesbeschrieben hat, (6) stattfindet oder etwa das Französische wieder zur zentralen Sprache der Romanistik werden könnte. In einer ständig zusammenwachsenden und subjektiv kleiner werdenden Welt verschieben sich andauernd die Perspektiven und Gewichte, die französische Sprache und Kultur mit ihren weltweit nur ca. 90 Millionen Sprechern – gegenüber mehr als 120 Millionen Sprechern allein des Deutschen, ca. 300 Millionen Hispanophonen und etwa 470 Millionen Anglophonen – ist längst nur noch eine unter vielen, neue Sprachen und Kulturen aus Asien rücken immer mehr in den Blickwinkel und das Interesse der Europäer, und auch die Bedeutung des deutsch-französischen Verhältnisses, das ohnehin im Vergleich zur NATO-Partnerschaft mit den USA zweitrangig ist, wird in absehbarer Zeit im Zuge der ständigen Erweiterung der Europäischen Union und der gestiegenen weltpolitischen Bedeutung Deutschlands, das als Mitglied der wirtschaftlich führenden Triade – USA, Japan, BRD – weltweit schon wenige Jahre nach der Wiedervereinigung über ein viel größeres Gewicht verfügt, als sie dem im internationalen Wettbewerb der Nationen immer weiter zurückfallenden Frankreich noch zukommt, weiter abnehmen. Englisch und Spanisch dürften wohl die europäisch-amerikanischen, Chinesisch und Japanisch die asiatischen Sprachen der Zukunft sein, welche das 21. Jahrhundert prägen werden. Den Wettlauf mit dem Englischen oder Spanischen hat das Französische international schon längst verloren; man mag dies bedauern, wird den Lauf der Dinge aber nicht mehr wesentlich ändern können.

Zehn Thesen zur zukünftigen Entwicklung

1.Die Entwicklung des Fachs seit den siebziger Jahren hat im Rahmen des bisherigen modularen Konzepts der Romanistik zu einerAusdifferenzierungundSpezialisierungsowohl nach Sprachen wie auch nach Disziplinen (vor allem Sprach- und Literaturwissenschaft) geführt. Hierdurch erfahren «kleinere» Sprachen wie das Katalanische oder das Rumänische innerhalb der deutschen Romanistik bisher weit mehr Beachtung als früher. Diese Ausdifferenzierung wird sich zwar fortsetzen, langfristig aber zur Folge haben, daß Fächer wie Katalanische oder Rumänische Philologie überhaupt nur noch an wenigen Universitäten schwerpunktmäßig betrieben werden können und die Mehrheit der Universitäten sich auf ein reines Sprachkursangebot und gelegentliche landeskundliche Veranstaltungen beschränken wird. Die vier «Hauptsprachen» der Romanistik – Spanisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch – dürften dagegen langfristig an den meisten Universitäten, die zur Zeit ein Romanisches Seminar beherbergen, als Einzelphilologien gelehrt werden.

2.Die Sprach- und Literaturwissenschaft des Französischen (Franzistik), (7) welche traditionell die deutsche Romanistik dominierte, hat im Zuge dieser Entwicklung ihre frühere Sonderstellung verloren, wie auch das besondere politische Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, die nur vor der Restauration des deutschen Staates nach der «Wende» von 1989 in der DDR noch gleichberechtigte Partner waren und nach dem Ende des Kalten Krieges nunmehr eher divergierende Interessen aufweisen, spätestens nach der absehbaren Osterweiterung der Europäischen Union weiter an Bedeutung einbüßen wird. Es ist heute sogar bereits möglich, einzelne Gebiete der Romanistik ohne Kenntnis der französischen Sprache und Literatur zu studieren. Dem Französischen wird zukünftig innerhalb der Romanistik – trotz aller bisherigen kulturgeschichtlichen Traditionen – kein Sonderstatus mehr zukommen. (8)

3.Die Hispanistik wird langfristig – wie auch in den USA – aus verschiedenen Gründen den wichtigsten Platz in der Romanistik einnehmen. Sie beschäftigt sich mit den meisten romanischsprachigen Ländern und der weltweit am weitesten verbreiteten romanischen Sprache. Bereits jetzt gibt es daher an einigen Seminaren mehr Studenten des Spanischen als des Französischen.

4.Die französische Philologie wird langfristig keine «Frankoromanistik», sondern eine Franzistik werden. Die vergleichende Betrachtung französischer Sprache und frankophoner Literaturen in Synchronie und Diachronie mit Blick auf alle anderen romanischen Sprachen und Literaturen sowie auf das Lateinische, wie sie das Konzept einer «Franko romanistik» beinhaltet, wird immer weiter in den Hintergrund treten, nationalstaatlich orientierte Ansätze werden das Fach dominieren, welches zwar relativ weiter an Gewicht verlieren, aber einen wichtigen Platz im Rahmen der Philologien behaupten wird.

5.Die Lusitanistik, welche zur Zeit noch ein Schattendasein innerhalb der Romanistik alter Prägung fristet, könnte langfristig in Deutschland die drittwichtigste Philologie innerhalb der Beschäftigung mit den Einzelphilologien der romanischen Sprachen werden. Insbesondere die sich mit dem größten romanischsprachigen Land beschäftigende Brasilianistik als Untergebiet der Lusitanistik dürfte einen anhaltenden Aufschwung erleben. (9)

6.Die Italianistik wird neben der Hispanistik, Franzistik und Lusitanistik weiterhin einen gewichtigen Platz im Rahmen der modernen Philologien einnehmen, im Vergleich zu ihrer früheren und derzeitigen Position aber noch weiter an Bedeutung verlieren.

7.Kleinere romanische Philologien wie die Beschäftigung mit dem Galicischen, dem Katalanischen, dem Okzitanischen, dem Rätoromanischen, dem Rumänischen, dem Sardischen oder den romanisch basierten Kreolsprachen werden in sinnvoll ausgebauten, international wettbewerbsfähigen Studiengängen nur noch an einigen wenigen Universitäten angeboten werden können, als gelegentliche Ergänzungen etwa zur Hispanistik (Katalanisch) oder Lusitanistik (Galicisch) aber auch mit Sprachkursen und vereinzelten Seminaren an weiteren Universitäten vertreten sein.

8.Die weitere Entwicklung und Ausrichtung des Faches wird sich zunehmend am internationalen Kontext orientieren. Auch der zwar beklagenswerte, aber gleichwohl bei einer ständig steigenden Zahl habilitierter Romanisten zu konstatierende stetige, gravierende Rückgang der Lateinkenntnisse und der damit verbundene Verlust der historischen Perspektive sowie des gesamtromanistischen Zusammenhangs wird diese Ausdifferenzierung beschleunigen und trotz aller gewichtigen inhaltlichen Gründe, die für eine Fortführung der deutschen Tradition sprechen, wahrscheinlich zur allmählichen Auflösung der Romanistik führen. Ob trotz der strukturellen Finanzkrise des derzeitigen deutschen Bundesstaates und seiner Länder in der weiteren Entwicklung an einigen Schwerpunktuniversitäten nach ausländischem Vorbild dann auch spezialisierte Lehrstühle im Rahmen entsprechend ausgebauter Studiengänge entstehen werden (z. B. für «Spanische Literatur des Siglo de Oro», «Französische Literatur der Klassik», «Hispanoamerikanische Sprachwissenschaft» [mit Schwerpunktsetzung in einzelnen Regionen], «Sprachkontaktforschung in den PALOP-Staaten» etc.), läßt sich derzeit noch nicht abschätzen. Langfristig werden möglicherweise trotz aller derzeitigen Konsolidierungsmaßnahmen in einer gegenläufigen Tendenz einerseits mehr Universitätsstellen insgesamt für Forschung und Lehre zu den romanischsprachigen Ländern zur Verfügung stehen – die strukturelle Finanzkrise des föderalen Staates wird à longue durée nicht zu einer Verringerung der Stellenzahl, die kurzfristig innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre eintreten mag, sondern eher zu deutlichen Absenkungen von Gehältern und Berufungsmitteln für Professoren führen -, die Spezialisierung der Lehrstuhlaspiranten und -inhabern auf entsprechende Gebiete wird aber zur Folge haben, daß die Zahl der Stellen, auf die sich ein einzelner, spezialisierter Sprach- oder Literaturwissenschaftler dann noch bewerben kann, sinken wird. Der hierdurch stärker werdende Wettbewerb, an dem sich zunehmend auch Wissenschaftler aus dem europäischen Ausland beteiligen werden, wird wiederum voraussichtlich die Spezialisierungen und Qualifikationen ständig weiter vorantreiben.

9.Wichtigste Publikationssprachen werden neben dem Englischen die jeweiligen Sprachen der Einzelphilologien sein. Das Deutsche wird in der Forschung immer mehr in den Hintergrund treten und vor allem als Sprache der Lehre Verwendung finden. (10)

10.Die Bedeutung der Staatsexamensstudiengänge in jeder Einzelphilologie wird aus mehreren Gründen weiter zurückgehen:

-Erstens wird der Bedarf an Lehrern einzelner moderner Fremdsprachen aus der Romania weiter sinken, da neben dem mittlerweile unverzichtbaren Englischen immer mehr Sprachen an den Schulen betrieben werden; Spanisch, Französisch und Italienisch werden als meist zweite Fremdsprache sowohl untereinander wie auch mit dem Lateinischen, Niederländischen, Japanischen etc. konkurrieren müssen, wodurch der Bedarf an Lehrern für die jeweiligen Einzelsprachen sinken wird.

-Zweitens ist absehbar, daß die weitere Anpassung («Harmonisierung») der Berufsabschlüsse in der Europäischen Union dazu führen wird, daß das zweite Staatsexamen als Eingangsvoraussetzung für den Schuldienst langfristig entfallen und infolge der Gleichbehandlung mit Bewerbern aus anderen europäischen Ländern auch den deutschen Absolventen von Magister- oder Diplomstudiengängen der Weg in die Schule offenstehen wird; auch der Beamtenstatus für Lehrer wird im zusammenwachsenden Europa wohl nicht ewig aufrechterhalten werden können. Da Magister- und Diplomprüfungen bei Bewerbungen außerhalb der Schule ohnehin mehr zählen als Staatsexamina, werden sich dann wohl immer weniger Studenten für ein traditionelles Lehramtsstudium entscheiden. Der Magisterabschluß dürfte dann tendenziell zum wichtigsten Abschluß werden.

-Drittens ist es wahrscheinlich, daß die Bildungspolitiker irgendwann einmal darauf aufmerksam werden, daß eine anwendungsorientierte Fremdsprachenausbildung für Lehrer diese praxisbezogener auf ihren späteren Beruf vorbereiten kann als ein traditionelles philologisches Studium, (11) welches nur solange gerechtfertigt war, wie der hohe Bildungsanspruch des deutschen Gymnasiums von den Bildungspolitikern und Reformern noch nicht zu Grabe getragen worden war. (12) Entsprechende anwendungsorientierte, praxisbezogene Studiengänge, in denen auf Sprach-, Landes- und Kulturkenntnisse größerer Wert gelegt werden wird als auf eine traditionelle Ausbildung in Sprach- und Literaturwissenschaft, werden dann sowohl in den Staatsexamensstudiengängen wie auch in den Curricula für Magisterstudiengänge mit den älteren Angeboten konkurrieren und diese langfristig zurückdrängen. Irgendwann wird man dann vielleicht auch einmal feststellen, daß das, was dann noch von der traditionellen philologischen Lehrerausbildung übriggeblieben sein wird, auch von den Fachhochschulen oder den Pädagogischen Hochschulen – und zwar wesentlich billiger und effizienter – geleistet werden könnte.(13)

Viele Fachvertreter werden diese Entwicklung bedauern oder sie zu verhindern versuchen. Kurzfristig mag es so zu gegenläufigen Tendenzen kommen. Die sich verschärfende Konkurrenz um Mittel- und Stellenzuweisungen, der Versuch, möglichst viele Studenten für das eigene Seminar zu «werben», (14) der Wandel von «Seminaren» eines Bildungsfachs zu Ausbildungsstätten, die sich auch um spätere Berufsaussichten ihrer Absolventen Gedanken machen zu müssen glauben, die absehbare Vereinheitlichung der Studiengänge und Berufsabschlüsse in der Europäischen Union und nicht zuletzt die zentrifugalen Kräfte, die ein personell und hinsichtlich des Publikationsausstoßes zu groß gewordenes, intern großteils bereits längst in Einzelphilologien ausdifferenziertes und von einem einzelnen kaum noch zu überschauendes Fach wie die Romanistik automatisch hervorbringt, werden die Entwicklung wahrscheinlich dennoch langfristig in die aufgezeigte Richtung treiben.

Nachdruck aus: Dietrich Briesemeister / Axel Schönberger (Hrsg.):Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven der deutschsprachigen Lusitanistik: Standpunkte und Thesen,Frankfurt am Main: TFM, 1998, S. 97-109.

Anmerkungen:

1. Ich danke Matthias Perl, Thomas M. Scheerer und Klaus Zimmermann für einige Anregungen zu nachstehendem Text.

2. Matthias Perl: «Zur Situation der deutschen Hochschullusitanistik (Geschichte, Kontexte, Aktuelles)», in: Lusorama 32 (März 1997), S. 102-114; Klaus Zimmermann: «Die Krise der Lusitanistik (und Romanistik): ein Diskussionbeitrag», in: Lusorama 33 (Juni 1997), S. 73-84.

3. Vgl. Rainer Schlösser: «Anmerkungen zur ‘Krise’ der Romanistik», in: Lusorama 34 (Oktober 1997), S. 61-67; Hans-Ingo Radatz: «Ist die ‘Krise der Romanistik’ vielleicht nur eine ‘Krise einiger Romanisten’?», in: Lusorama 34 (Oktober 1997), S. 68-77; Johannes Kramer: «Lusitanistik abseits der Romanistik: ein Holzweg», in: Lusorama34 (Oktober 1997), S. 78-83. Vgl. zu den Ausführungen von H.-I. Radatz bezüglich der fehlenden Motivation mancher Studienanfänger auch Kurt Reumann: «Der Teilzeitstudent», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. August 1997, S. 1: «Wer Geld verdienen muß, kann, wer sich vergnügt, will seine Kraft nicht voll aufs Studium lenken.» So verwundert es auch nicht, daß immer mehr Studenten die vorlesungsfreie Zeit mit «Semesterferien» verwechseln, die sie für Urlaubszwecke und zum Geldverdienen anstatt zum Studieren nutzen. Daß man ein Lesestudium wie das Romanistikstudium nicht in der Regelstudienzeit abschließen kann, wenn man nur während des Semesterbetriebs studiert, sondern die intensive Lektüre in der vorlesungsfreien Zeit ebenso dazugehört wie die Einsicht, daß das Pensum bei mehr als sechs bis sieben Wochen Urlaub pro Jahr oder Vollzeitarbeit eigentlich nicht bewältigt werden kann, muß auch einmal gesagt werden. Wer aus Notwendigkeit oder zur Erfüllung seiner privaten Konsumwünsche während seines Studiums darauf angewiesen ist, in nennenswertem Umfang Geld zu verdienen, muß sich eben darauf einstellen, daß sein Studium entsprechend länger dauert.

4. Axel Schönberger: «Et multum et multa: zur Hispanistik-Diskussion in Tranvía», in: Tranvía 20 (März 1991), S. 65-67 [Nachdruck in vorliegendem Sammelband]. Mit der von mir dort vorgeschlagenen Dreiteilung (Gesamtromanistik, Einzelphilologien – Sprach- und Literaturwissenschaft nur einer romanischen Sprache – und praxis- und anwendungsorientierte Fremdsprachen- und Landeskundeausbildung, letzteres durchaus auch ohne Lateinkenntnisse und vielleicht eher auf Fachhochschulniveau denkbar) könnte man Ansätze wie die von Klaus Zimmermann einerseits und Johannes Kramer, Hans-Ingo Radatz sowie Rainer Schlösser andererseits durchaus miteinander verbinden. Warum soll man eigentlich nicht die Studenten wählen lassen, ob sie lieber die traditionelle Romanistik oder nur eine Einzelphilologie oder vielleicht sogar nur einen praxisorientierten Minimalstudiengang auf Fachhochschulniveau studieren wollen? Die Romanistik kann an den meisten Universitäten nur gewinnen, wenn die Seminare mit romanistischer Ausrichtung im Grundstudium hierdurch etwas weniger frequentiert werden und dadurch insgesamt wieder ein höheres Niveau möglich wird.

5. Johannes Kramer: «Vielleicht ein Zukunftsmodell: Romanistik in der Forschung, Romania-Studien in der Lehre», in: Grenzgänge 3/6 (1996), S. 22-33; Brigitte Schlieben-Lange: «Thesen zur Romanistik – Stellungnahme», in: Grenzgänge 3/6 (1996), S. 41-46.

6. Konrad Schoell: «Ein Wort zur Lage», in: Mitteilungen des Deutschen Romanistenverbandes 1997/1 (=Mitteilungen des Frankoromanistenverbandes1/1997), S. 117-124.

7. Der Begriff steht schon lange im Literaturwissenschaftlichen Wörterbuch für Romanisten, s. v. «Romanistik, Romanische Philologie» (Rainer Hess / Gustav Siebenmann / Mireille Frauenrath / Tilbert Stegmann, Tübingen: Francke, 31989, S. 390-395, hier S. 391). Die in den letzten Jahren auch zu lesende, unschöne Hybridbildung «Französistik» fällt aus dem Rahmen der Bezeichnungen für die anderen Philologien (man sagt ja auch nicht «Portugiesistik», «Spanistik» oder «Italienistik», sondern Lusitanistik, Hispanistik und Italianistik, folglich auch Franzistik) und wäre außerdem nicht in andere Sprachen übertragbar, während die anderen Begriffe bereits internationale Verwendung finden.

8. Michael Nerlich hat vor kurzem zwei engagierte Plädoyers dafür veröffentlicht, das Französische weiterhin als Kernbereich der deutschen Romanistik anzusehen und insbesondere die «frankophobe» Fachgeschichte der deutschen Romanistik aufzuarbeiten («Überlegungen zur Romanistik am Ende des 20. Jahrhunderts», in: Grenzgänge: Beiträge zu einer modernen Romanistik 3/6 [1996], S. 15-21; «Romanistik: von der wissenschaftlichen Kriegsmaschine gegen Frankreich zur komparatistischen Konsolidierung der Frankreichforschung», in: Cahiers d’Histoire des Littératures Romanes – Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 20/3-4 [1996], S. 396-436). Sein an zweiter Stelle genannter Aufsatz schließt mit einem für die Romanistik wahrscheinlich zu optimistischen Postscriptum, und seine Ausführungen in erstgenanntem Aufsatz messen gleichfalls Frankreich eine Bedeutung zu, die diesem Land heute wohl nicht mehr zukommt. Vgl. z. B. S. 20: «[…] Forderungen nach Emanzipation der nationalen Einzelbereiche entgegen, die mehr oder weniger offen auf Liquidierung des romanistischen Fachverbunds zielen. Diese Forderungen sind kurzsichtig und mittel- und längerfristig suizidär-verheerend für alle heute noch institutionell verbundenen Bereiche der Romanistik, was am Beispiel des Französischen ganz besonders evident wird. Um das zu verstehen, ist zunächst einmal die größte und wichtigste Veränderung im Vergleich mit der Gründungsphase der Romanistik ins Auge zu fassen: Das Französische ist nicht mehr die erste internationale (Fremd-)Sprache, sondern eine eher und bedauerlicherweise zunehmend unbedeutender werdende Regionalsprache, der vor allem das Englische und das Spanische entgegenstehen (vom Chinesischen usw. aus verschiedenen Gründen hier ganz zu schweigen). Diesem Entwertungsprozeß der französischen Sprache steht diametral die politische Bedeutung entgegen, die Frankreich für Deutschland unter europapolitischen Gesichtspunkten besitzt […]». Dem ist entgegenzuhalten, daß die politische Bedeutung Frankreichs, obschon zur Zeit aus historischen Gründen noch wichtig, entgegen aller politischen Schönwetterreden für Deutschland nach dem Jahr 1989 beständig abnimmt (vgl. z. B. Günther Nonnenmacher: «Der Motor stottert», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Juli 1997, S. 1); langfristig dürften wohl innovative Industrieländer wie Japan und die USA für die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik wichtiger werden als europäische Nachbarstaaten wie Frankreich oder die Niederlande. Kulturell ist bereits jetzt zu vermerken, daß die englischsprachige Kultur in Deutschland dominiert und die französischsprachige Literatur, Musik etc. nur eine geringe Attraktivität besitzt. Auch die vielzitierte deutsch-französische Freundschaft scheint nach Presseberichten der jüngeren MTV-Generation zunehmend egal zu sein. Leider werden Sprecherzahlen und Wirtschaftsdaten zukünftig wohl gewichtiger sein als kulturelle Traditionen; daß gerade Frankreich im 21. Jahrhundert daher einen weiteren relativen wirtschaftlichen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen wird, zeichnet sich für einen aufmerksamen Leser der OECD-Jahresberichte bereits jetzt deutlich ab.

9. Vgl. hierzu auch die einzelnen Aufsätze in: Andreas Boeckh / Rafael Sevilla (Hrsg.): Bestandsaufnahme und Perspektiven der deutsch-brasilianischen Beziehungen, Frankfurt am Main: TFM, 1997 (Biblioteca Luso-Brasileira; 3); darin insbesondere die Ausführungen des brasilianischen Botschafters in der Bundesrepublik Deutschland, Roberto Abdenur («Die deutsch-brasilianischen Beziehungen: übereinstimmende strategische Interessen», S. 13-26): «Abschließend sei nochmals hervorgehoben, daß im deutsch-brasilianischen Verhältnis zur Zeit ein Prozeß wachsender Annäherung und Übereinstimmung im Gang ist. Die bilateralen Beziehungen nehmen an Dynamik zu, diversifizieren und wandeln sich in bemerkenswerter Weise. Jedes Land für sich gewinnt im internationalen Gefüge an Bedeutung und Selbstsicherheit. Als Kapital- und Technologiegeber sowie als Handelspartner ist Deutschland für Brasilien von ganz entscheidender Bedeutung. Auch bei der Gestaltung des künftigen Verhältnisses zwischen Mercosul und Europäischer Union spielt Deutschland eine gewichtige Rolle. Brasilien wird seinerseits auch für die deutsche Seite immer wichtiger. Ausschlaggebend hierfür ist eine deutliche Erholung der Wirtschaft, die sich wie nie zuvor dem Ausland öffnet, sowie der starke Einfluß des Landes auf die subregionalen und kontinentalen Integrationsprozesse in Amerika. Andererseits ist Deutschland für die weitere Entwicklung Brasiliens von grundlegender Bedeutung. Brasilien ist wiederum für Deutschland und seine Stellung in der globalisierten Wirtschaft von ebenso fundamentaler Wichtigkeit. Aus diesem Grunde können wir meiner Ansicht nach heute mit Fug und Recht von einer echten strategischen Partnerschaft zwischen beiden Ländern sprechen, die über das bilaterale Verhältnis hinaus auf den europäischen und amerikanischen Kontinent ausstrahlt.» (S. 26).

10. Diese Entwicklung ist auch durch die Sparmaßnahmen der Öffentlichen Hand und die elektronische Vernetzung der Bibliotheken bedingt. Ein deutsch geschriebenes romanistisches Fachbuch wird von immer weniger Bibliotheken gekauft, ein nennenswerter privater Markt existiert in den meisten Bereichen nicht. Je mehr Bibliotheken in Verbundnetze integriert und Sparzwängen unterworfen werden, desto größer wird der Druck auf die Verlage, entweder den Autoren entsprechende Zuschüsse abzuverlangen oder aber für den größeren englisch- bzw. spanischsprachigen Markt zu produzieren.

11. In diese Richtung zielt schon die Vorlage des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland «Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen: Textelemente zum Berichtsentwurf des UAL» (18 S.), die mit Datum vom 30. Juni 1997 als «Vorlage für die 48. Sitzung des UAL am 03./04. 07. 1997, Ziff. 4» ausgewiesen ist. Die derzeitige Ausbildung von Fremdsprachenlehrern an den Universitäten wird dort als nicht schulrelevant kritisiert (vgl. z. B. S. 3: «Die Freiheit von Forschung und Lehre, die Polyvalenz zahlreicher Lehrangebote wie auch der allgemeine Grundsatz der Exemplarität der zu erbringenden Studienleistungen führen nicht selten dazu, daß die Fremdsprachenlehrerausbildung an den Hochschulen den schulischen Bedürfnissen im engeren Sinne nur wenig Rechnung trägt. Ohne ein Mindestmaß an ‘Schulrelevanz’ des Studiums [Alternative: Ohne schulrelevante Studienanteile] muß aber die Ausbildung defizitär bleiben.»); es wird unter anderem eine deutliche Reduzierung des Anteils der Literaturwissenschaft in Lehramtsstudiengängen und stattdessen eine Erhöhung der Anteile von Sprachwissenschaft, Sprachpraxis, Landeskunde und Fachdidaktik gefordert. Veranstaltungen im Lehramtsstudium sollen zukünftig vermehrt in den jeweiligen Fremdsprachen gehalten werden

12. Vgl. hierzu auch den Kommentar von Konrad Adam: «Spalierobst schneiden», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 1997, S. 1.

13. Vgl. hierzu auch Ursula Vences / Renate Schmidt: «Werden Lehrerinnen und Lehrer künftig nicht mehr an der Universität ausgebildet?», in: Hispanorama 77 (August 1997), S. 155-156.

14. Versuche, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen, werden aber wohl nicht den gewünschten Erfolg bringen, zumal dann, wenn es sich um gepanschten Wein schlechter Qualität handelt. Ein geradezu symptomatisches Beispiel, wie durch Umetikettierung versucht wird, «konkurrenzfähige» neue Studiengänge aus dem Boden zu stampfen, findet sich in der 1997 vom Deutschen Romanistenverband herausgegebenen Broschüre Alternative Studiengänge auf den S. 34-35: Die Universität Osnabrück hat einen Studiengang «Europäische Studien» (Abschluß: Magister/Magistra Rerum Europae – sic statt «Europaearum, wie es im Lateinischen hier normalerweise heißen würde) ins Leben gerufen, der das slawische und skandinavische Europa offenbar komplett ignoriert und Europa auf den englisch- und romanischsprachigen Bereich zu reduzieren scheint, wobei romanische Sprachen wie Galicisch oder Katalanisch offensichtlich gleichfalls ausgeblendet werden, ja sogar nicht einmal die Hispanistik in Osnabrück bisher in nennenswertem Umfang vertreten ist. Studenten, die sich einen derartigen, auf wenige westeuropäische Sprachen und Kulturen konzentrierten Studiengang als Weg zur Erlangung von «Europakompetenz» verkaufen lassen, werden sehen müssen, ob eine derartige «Europakompetenz» auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird.