Lusitanistik an der Uni Wien

Porträt: Die Lusitanistik am Institut für Romanistik der Universität Wien

Das Institut für Romanistik der Universität Wien ist mit rund 5000 Studierenden und ca. 100 Lehrenden eines der größten romanistischen Institute im deutschsprachigen RaumSeine Geschichte beginnt 1860, als das k. u. k. Unterrichtsministerium Adolf Mussafia (1835-1905) zum Außerordentlichen Professor der Romanischen Philologie ernannte und damit die erste Lehrkanzel für dieses Fach in Österreich gründete; 1867 wurde Mussafia zum Ordentlichen Professor ernannt. Neben Mussafia wirkte Ferdinand Lotheissen (1833-1887) engagiert am Aufbau der Wiener Romanistik mit. Ein selbstständiges Seminar für Romanische Philologie, das alle romanischen Sprachen umfasst, konnte erst 1894 eingerichtet werden. Dem früh verstorbenen Lotheissen folgte 1890 Wilhelm Meyer-Lübke (1861-1936), der die Wiener Romanistik zu internationaler Blüte führte. Bis Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts umfasste das Studium der Romanistik alle romanischen Sprachen, darunter auch das Portugiesische. Danach wurde zwar das Studium einzelsprachlich aufgegliedert, nicht aber die Ordinariate.

Ein eigenständiges Studium der Lusitanistik existiert seit 1994, als es Georg Kremnitz (Ordentlicher Professor für Romanische Philologie seit 1986) und  Michael Metzeltin (Ordentlicher Professor für Linguistik und Didaktik für romanische Sprachen seit 1989) gelang, auch für das Portugiesische neben Französisch, Italienisch, Spanisch und Rumänisch ein eigenes Curriculum einzuführen. Im Jahre 2008 ist Kathrin Sartingen auf die neueingerichtete Professur für Ibero-Romanistik (Lusitanistik und Hispanistik mit Schwerpunkt Literatur- und Medienwissenschaften) berufen worden, womit auch der Lusitanistik der gebührende Stellenwert neben den Studienrichtungen Französisch, Italienisch, Spanisch und Rumänisch garantiert wird. Im Studienjahr 2008/09 hat das Institut für Romanistik der Universität Wien die Bachelor- und Masterstu­dien­gänge entsprechend dem Bologna-Prozess eingeführt. Einge­richtet wur­den ein Bachelorstudium Romanistik, in dem auch das Portugiesische vertreten ist, und sechs Masterstudiengänge, darunter auch ein Master „Spra­chen und Kulturen der Iberoromania“.

Das Portugiesische in Wien hat eine lange Geschichte. Auf universitärer Ebene kann es sowohl im Institut für Romanistik als auch am Zentrum für Translationswissenschaften studiert werden. Bereits im Jahre 1962 wurde das erste Lektorat für portugiesische Sprache und Kultur eingerichtet: José Palma Caetano wurde vom Instituto de Alta Cultura, einem Vorgänger des heutigen Instituto Camões, zum ersten Lektor ernannt. In den achtziger  und neunziger Jahren folgten ihm am Institut für Romanistik die Gastlektorinnen Maria Emília Pawera Pinto Leite und Maria Emília Bordalo. Neben den Kursen der Gastlektoren wurden immer wieder Lehrveranstaltungen zur portugiesischen Sprach- und Literaturwissenschaft angeboten, u.a. von Michael Metzeltin, Ilse Pollak, Christopher Laferl, Joachim Born, Guadalupe de Sousa, Fernanda Ramos und Tito Lívio Cruz Romão.

Als im Jahre 1992 das Instituto Camões gegründet wurde, vertrat Ana Maria Delgado das erste offizielle Lektorat des Instituto Camões; ihr folgten u.a. António Pedro Dinis und Alcides Manuel Droguete Murtinheira. Inzwischen sind die Portugiesisch-Lektorate mit Unterstützung des Instituto Camões so weit ausgebaut worden, dass das Institut für Romanistik der Universität Wien über ein mit Medien wie Zeitschriften, Büchern und Filmen gut ausgestattetes Centro de Língua Portuguesa (CLP) verfügt, dessen Leiter der jeweilige Lektor des Instituto Camões ist.

In den letzen zehn Jahren ist das Studium der Lusitanistik immer attraktiver geworden, was sich an den steigenden Zahlen der Studierenden zeigt. Im Wintersemester 1999/2000 gab es 121 und im WS 2009/2010 insgesamt 176 Studierende. Dazu trug sicherlich auch die Einführung einer Gastprofessur für Lusitanistik im Wintersemester 1999/2000 bei, die u.a. Erich Kalwa, Pedro Calafate, Thomas Sträter, Markus Schäffauer und Kathrin Sartingen vertreten haben.

Derzeit sind an der Wiener Romanistik – sowohl in der Lehre als auch in der Forschung – neun Lehrende in der Lusitanistik tätig: Georg Kremnitz, Michael Metzeltin, Michael Rössner und Kathrin Sartingen als Universitätsprofessoren, Friedrich Frosch als Außerordentlicher rofessor, Margit Thir als Universitätsassistentin, Marina Corrêa und Igor Metzeltin als Lehrbeauftragte und Alcides Manuel Droguete Murtinheira als Lektor des Instituto Camões. Damit sind auch in der Lusitanistik alle Säulen des Curriculums abgedeckt: Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft, Landeswissenschaften und Sprachausbildung. An der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät befasst sich zudem Universitätsprofessor Friedrich Edelmayer regelmäßig in Lehre und Forschung mit der Geschichte der Iberischen Halbinsel und Lateinamerikas; an der Fakultät für Sozialwissenschaften erforscht zudem Universitätsprofessorin Elke Mader die Kultur- und Sozialanthropologie Südamerikas mit Schwerpunkt Brasilien/Amazonasraum.

Im Besonderen sei auf folgende lusitanistische Aktivitäten der Wiener RomanistInnen hingewiesen:

Marina Corrêa ist Lehrbeauftragte für portugiesische Sprache, lusophone Literatur und lusophone Landeswissenschaften. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Neo-Avantgarde und die Konkrete Poesie im internationalen Kontext und die Intermedialität zwischen Musik und Literatur.

Die Forschungsschwerpunkte von Friedrich Frosch liegen in der Erzählliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts (Portugal, Brasilien, Spanien, Frankophonie) sowie in den historischen Avantgarden und in der modernen und postmodernen Lyrik. Insbesondere hat er sich mit Literatur zwischen Devianz und Psychoanalyse befasst. Er ist auch Autor zahlreicher literarischer Übersetzungen.

Igor Metzeltin ist Lehrbeauftragter für portugiesische Sprache, lusophone Sprachwissenschaft und Medienwissenschaft. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das brasilianische und das portugiesische Kino, die Übersetzungswissenschaft, und Identitäten in der lusophonen Welt und in der Sprachkontaktforschung.

Michael Metzeltin hat sich in seiner gesamtromanistischen Ausrichtung immer wieder mit lusitanistischen Themen befasst und zahlreiche einschlägige Publikationen (u.a. über Probleme der Syntax, der Textinterpretation und der Sprachgeschichte) veröffentlicht. Als Ordentlicher Universitätsprofessor der Universität Wien hat er die Einrichtung einer Studienrichtung Portugiesisch begleitet und deren Entwicklung gefördert und die Einführung der Lusitanistik an der Comenius-Universität Bratislava garantiert. Seit 2001 ist er zusammen mit Margit Thir Leiter des jährlich stattfindenden Österreichisch-portugiesischen Sommerkollegs (Partneruniversität: Universidade Nova de Lisboa).

Alcides Manuel Droguete Murtinheira ist seit 2006 Lektor des Instituto Camõesund Leiter des Centro de Língua Portuguesa (CLP). Er unterrichtet im Bereich der Sprachausbildung und der Landeswissenschaften an der Universität Wien und der Comenius-Universität Bratislava. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das portugiesische Kino und die portugiesische Musik. Weitere Arbeitsfelder liegen im Bereich der Übersetzungspraxis sowie der Entwicklung von Lehrplänen für die Sprachpraxis.

Michael Rössner ist Universitätsprofessor an der Universität München und Dozent und Lehrbeauftragter am Institut für Romanistik der Universität Wien. Er ist der Herausgeber der „Lateinamerikanischen Literaturgeschichte“ im Metzler Verlag. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. der brasilianische Modernismus und die literarischen Kaffeehäuser (Lissabon).

Kathrin Sartingen ist Lehrstuhlinhaberin für Lusitanistik und Hispanistik am Institut für Romanistik der Universität Wien. u ihren Forschungsschwerpunkten zählen transatlantische Literatur- und Kulturbeziehungen (Iberia-Lateinamerika-Afrika) sowie die portugiesisch- und spanischsprachigen Literaturen des 20. und 21. Jahrhunderts. Weitere Arbeitsfelder liegen im Bereich der intermedialen Beziehungen zwischen Film, Theater und Literatur, der lusophonen und hispanischen Medienkultur, der Ästhetik neuer Medien sowie Themen und Theorien der Kulturwissenschaften. Neben ihrer Professur an der Universität Wien ist sie Betreuerin von Doktorats- und Studienprogrammen in Budapest und Bratislava.

Die Forschungsschwerpunkte von Margit Thir liegen im Bereich der lusitanistischen, hispanistischen und französistischen Sprachwissenschaft, Textwissenschaft und Kultursemiotik. Seit 2001 organisiert sie gemeinsam mit Prof. Metzeltin das Österreichisch-portugiesische Sommerkolleg (Partneruniversität: Universidade Nova de Lisboa). Seit 2006 hält sie auch Vorträge an der Comenius-Universität Bratislava im Bereich der Lusitanistik.

Neben den interuniversitären Aktivitäten bemüht sich die Wiener Lusitanistik um eine aktive Internationalisierung und um wissenschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Universitäten im In- und Ausland. Derzeit bestehen u.a. internationale Kooperationen mit der Universidade Nova de Lisboa (seit 2004/2005), mit der Universidade do Porto (seit 1995/1996) sowie seit kurzem ein bilaterales Abkommen mit der Universidade Federal do Rio de Janeiro. Ein weiteres Kooperationsabkommen mit der Universidade Federal Fluminense in Niterói ist in Vorbereitung. Seit dem Studienjahr 2004/2005 besteht eine rege Kooperation mit der Comenius-Universität Bratislava, die die Akkreditierung der dortigen Studiengänge unterstützt.

Zur Entwicklung der Lusitanistik hat auch das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung 2001 eingerichtete, Österreichisch-Portugiesische Sommerkolleg beigetragen, das ein attraktives Zusatzangebot für die Studierenden zum Curriculum darstellt. Seitdem findet unter der Leitung von Michael Metzeltin und Margit Thir in Kooperation mit der Universidade Nova de Lisboa im Zwei-Jahres-Zyklus abwechselnd in Österreich und Portugal das Kolleg statt, an dem während zwei Wochen 10 österreichische und 10 portugiesische Studierende teilnehmen.

Ein zukunftsorientierter und ausschlaggebender Schritt war die Implementierung der Lusitanistik auf Lehrstuhlebene. Hier wird ein zunehmendes Augenmerk einerseits auf die Gesamtlusophonie (u.a. Lehrveranstaltungen zu afrikanischen Literaturen und Filmen in Zusammenarbeit mit der Afrikanistik) gelegt, sowie andererseits die Einbindung in eine Ibero-Romanistik und damit einhergehend eine Stärkung der Lateinamerikanistik (enge Zusammenarbeit mit dem österreichischen Lateinamerika-Institut LAI) angestrebt. Zahlreiche Veranstaltungen, die die internationalen und interdisziplinären Kooperationen fördern und ein Forum für Diskussionen und Austausch bieten, unterstützen die Entwicklung der Lusitanistik in Wien: lusophone Filmreihen, Vortragsreihen (z.B. „A voz feminina na lusofonia“), Gastvorlesungen und Workshops. Mit einem transdisziplinären und gesamtlusitanistischen Programm findet seit Januar 2009 das Colóquio de Estudos Lusófonos de Viena/Wiener Lusitanistentag statt, zu dem LusitanistInnen aus Europa und Lateinamerika kommen. Diese Veranstaltung, die jährlich stattfindet, wird von Kathrin Sartingen in Zusammenarbeit mit dem Centro de Língua Portuguesa des Instituto Camõesorganisiert. Das zweite Colóquio de Estudos Lusófonos de Viena fand vom 20. bis zum 22. Januar 2010 statt, an dem  insgesamt 18 Vortragende aus Portugal, Brasilien, Chile, Spanien, Kroatien, Ungarn, Deutschland und Österreich teilnahmen.

Nicht zuletzt kann als ein Zeichen der Stärkung und des Ausbaus der Wiener Luistanistik die wichtige Aufgabe angesehen werden, den nächsten internationalen Lusitanistentag des DLV im September 2011 auszurichten: eine große Ehre und Herausforderung für das Institut für Romanistik und damit die Lusitanistik der Universität Wien.

Kathrin Sartingen und Michael Metzeltin (Wien)